„Gemeindezucht“ - Gemeindeseelsorge

eine unsere Liebe zu Jesus herausfordernde Aufgabe

Von Anfang meines Gemeindedienstes an stellten sich mir im Zusammenhang mit diesem Thema viele Fragen, auf die ich, wie sich sehr bald herausstellte, keine einfachen Antworten geben konnte. Im Laufe der Jahre lernte ich viele verschiedene Einstellungen zu den Fragen „Gemeindezucht“ und „Gemeindeseelsorge“ kennen. Wenn überhaupt, dann war es für viele ein sehr isoliertes Thema, das nur zu bestimmten Zeiten „hoch-kam“ und „abgehandelt“ werden musste. Was macht es so schwer in diesem Bereich des Gemeindelebens liebevoll und bestimmt, an Gottes Wort orientiert, aber nicht gesetzlich, geduldig aber nicht gleichgültig zu sein?

Die hier weitergegebenen Gedanken entstanden aus der Praxis für die Praxis. Dennoch habe ich mich bemüht, Gottes Wort gründlich zu befragen und nicht bequeme, schon vorher feststehende Gedanken in die Bibel hineinzulegen.

Wie viele zusammengesetzte Hauptwörter, ist auch das Wort „Ge­meindezucht“ im Neuen Testament nicht zu finden. Sehr wohl ist jedoch die damit gemeinte Sache Gegenstand neutestamentlicher Erörterungen.

1. Weshalb „Gemeindezucht“ d.h. „Gemeindeseelsorge“ heute oft nicht geübt wird.

1.1. „Unzulässige Einmischung“

Immer mehr Christen sehen „Gemeindezucht“ als eine unzuläs­sige Einmischung in private Angelegenheiten an und lehnen sie deshalb ab.

Dies geschieht sowohl auf Seiten derer, die betroffen wären: „Das geht euch überhaupt nichts an!“, als auch auf Seiten derer, die sich her­ausfordern lassen sollten: „Das geht mich nichts an. Das ist sei­ne Sache. Er muss selbst wissen, was er tut.“ (1. Mose 4,9 „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“)

1.2. „Unangenehme Aufgabe“

Es ist eine unangenehme Aufgabe, als fehlerhafter Mensch andere auf ihre Fehler hin ansprechen zu sollen. In sol­chen Fällen siegt oft der Selbstschutz, d.h. die Selbstsucht!

1.3. Unsicherheit bezüglich der Maßstäbe

Es herrscht heute eine weit verbreitete Unsicherheit über zutreffende und anzu­wendende Maßstäbe. Die Postmoderne will keine zeitlos gültige Wahrheit mehr kennen. Deshalb betrachtet man Homosexualität z.B. als eine genau so berechtigte Lebensweise wie Heterosexualität. „Wer sagt denn eigentlich, dass man nicht auch so leben kann?“ Christen, die an einen Schöpfergott glauben, gehen davon aus, dass dieser ein Recht hat, für jeden Lebensbereich Prinzipien zu setzen, nach denen seine Menschen leben können und sollen. Und von diesem Recht hat er ausgiebig Gebrauch gemacht und uns in der Bibel diese zeitlos gültigen Grundsätze mitgeteilt. (Römer 16,17 „Ich ermahne euch aber, Brüder, dass ihr acht habt auf die, welche entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, Parteiungen und Ärgernisse anrichten, und wendet euch von ihnen ab!“) Diese sind nicht nur andere „Meinungen“, sondern grundlegend andere „Setzungen“.

1.4. Komplexität

Wir kennen und verstehen heute besser als frühere Generationen die Komplexität von Ursache und Wir­kung bei verschiedenen Fehlhaltungen. Heißt es dann aber tatsächlich: „Alles verstehen heißt alles ver­zeihen“?

1.5. Bin ich zum Richter bestellt?

Viele Christen sind der Meinung, sie dürften sich nicht als Richter über andere erheben und lehnen aus diesem Grund Gemeindezucht ab. Hier wird dann sogar manchmal, in völliger Verken­nung der eigentlichen Bedeutung, Matthäus 7,1 zitiert: „Richtet nicht, da­mit ihr nicht gerichtet werdet!“

1.6. Überheblichkeit

Weil man darin eine nicht gerechtfertigte Überhebung gegen­über den Betroffenen sieht, wird das Ansinnen, einen Mitbruder oder eine Mitschwester zurecht zu weisen, zurückgewiesen. „Wer sind wir denn eigent­lich? Ha­ben wir denn noch nie etwas falsch gemacht?“

1.7. Hinweis auf Missbrauch

Es muss eingestanden werden, dass früher im Zu­sammenhang oder unter der Überschrift „Gemeindezucht“durchaus auch haarsträubende Dinge passiert sind. Erfolgter Missbrauch enthebt uns jedoch nicht der Ver­antwortung, uns um den rechten Gebrauch zu bemühen.

1.8. Furcht vor Konsequenzen

Auch aus Furcht vor den Konsequenzen unterbleibt manchmal die dringend notwendige Gemeindezucht. „Wenn die aus­geschlossen wird, gehen wir auch!“ Diese Erpressungen zeiti­gen in unseren überwiegend kleinen Gemeinden häufig er­schreckende Wirkungen.

„Vielfach befürchtet man, die Reihen unserer Truppen könnten sich stark lichten, wenn Gemeindezucht geübt würde. In Wirk­lichkeit verhält es sich umgekehrt. Ohne Gemeindezucht schrumpft die Zahl unserer aktiven Mitstreiter. Es ist hier aller­dings von aktiven Streitern Christi die Rede, nicht von christli­chen Karteileichen. Durch die Gemeindezucht werden unsere Gemeinden nicht schrumpfen, sondern wachsen - sowohl zah­lenmäßig als auch in ihrer Kampfkraft.“ 1

Manche Christen hegen auch die Befürchtung, unsere missionarischen Bemühungen würden einen Rückschlag erleiden, wenn wir Gemeindezucht üben. Wir stehen manchmal in der Gefahr, aus gut gemeinten Motiven heraus der „Welt“ gefallen zu wollen. Da „stört“ Gemeindezucht nur.

1.9. Ratlosigkeit

Vielfach weiß man gar nicht, wo man anfangen und wo man auf­hören sollte, wenn man mit diesem Thema in der Gemeinde ernst machen würde - so lässt man es ganz sein.

Oder man weiß, dass vieles unbekannt unter der Decke gehal­ten wird und man sich unwohl fühlt, wenn man nur „zu­fällig“ bekannt gewordenes „behandeln“ soll. Trotzdem gilt 2. Thessalonicher 3,6:„Wir gebieten euch aber, Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr euch zurückzieht von jedem Bruder, der unordentlich und nicht nach der Über­lieferung wandelt, die ihr von uns empfangen habt.“

1.10. Hinweis auf das Ausreifen lassen des Guten und Bösen

Häufig kann man auch den Hinweis auf das Gleichnis vom „Unkraut im Acker“ hören. Es heißt dort in Matthäus 13,24-30: „Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Mit dem Reich der Himmel ist es wie mit einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während aber die Menschen schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut mitten unter den Weizen und ging weg. Als aber die Saat aufsprosste und Frucht brachte, da erschien auch das Unkraut. Es kamen aber die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn Unkraut? Er aber sprach zu ihnen: Ein feindseliger Mensch hat dies getan. Die Knechte aber sagen zu ihm: Willst du denn, dass wir hingehen und es zusammen lesen? Er aber spricht: Nein, damit ihr nicht etwa beim Zusammenlesen des Unkrauts gleichzeitig mit ihm den Weizen ausreißt. Lasst beides zusammen wachsen bis zur Ernte, und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Lest zuerst das Unkraut zusammen, und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber sammelt in meine Scheune!“

Hier wird von manchen Auslegern der Hinweis auf das Ausreifen-lassen des Guten und des Bösen dahingehend missverstanden, dass man diese Aussage Jesu so deutet, dass in der Gemeinde keine Gemeindezucht geübt werden sollte. Dass diese Deutung unzutreffend ist, kann man bereits aus der Erklärung ersehen, die Jesus selbst zu diesem Gleichnis abgibt. Die Jünger wollten damals nämlich auch wissen, was dieses Gleichnis zu bedeuten habe und sie fragten Jesus danach. In Matthäus 13,36-42 heißt es: „Dann entließ er die Volksmengen und kam in das Haus; und seine Jünger traten zu ihm und sprachen: Deute uns das Gleichnis vom Unkraut des Ackers! Er aber antwortete und sprach: Der den guten Samen sät, ist der Sohn des Menschen, der Acker aber ist die Welt; der gute Same aber sind die Söhne des Reiches, das Unkraut aber sind die Söhne des Bösen; der Feind aber, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte aber ist die Vollendung des Zeitalters, die Schnitter aber sind Engel. Wie nun das Unkraut zusammen gelesen und im Feuer verbrannt wird, so wird es in der Vollendung des Zeitalters sein. Der Sohn des Menschen wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle Ärgernisse zusammen lesen und die, die Gesetzloses tun; und sie werden sie in den Feuerofen werfen: da wird das Weinen und das Zähne-knirschen sein.“

In Matthäus 13,38 macht Jesus deutlich, dass es bei diesen Ausführungen nicht nicht um die Gemeinde geht. Es heißt ausdrücklich: „Der Acker ist die Welt.“ (Vers 38). In der Welt sollen Gute und Böse bis zum Tag der endgültigen Abrechnung ausreifen, nicht in der Gemeinde! 1. Korinther 5,9-13

1.11. Fundamentalismusvorwurf

Gemeinden, welche biblische „Gemeindezucht“ üben, werden heute gern und schnell als „Sekte“ oder „Fundamentalisten“ abge­stempelt. Davor scheuen viele Christen heutzutage zurück und unterlassen lieber die notwendige Gemeindeseelsorge.

1.12.Angst vor juristischen Problemen

Es muss in unserer Zeit mehr als je zuvor damit gerechnet werden, dass Fragen der Gemeindezugehörigkeit bzw. des Ausschlusses aus der Gemeinde vor ordentlichen Gerichten ausgetragen werden.

Je mehr das Böse um sich greift und die Menschen sich an seine Anwesenheit gewöhnen, desto mehr weist man den bibli­schen Straf- bzw. Erziehungsgedanken zurück. Wer jedoch das Böse nicht straft, ist selbst böse.

1.13.Fehlender Mut

Aus dem Gesagten geht klar hervor, dass oft einfach der Mut fehlt, dem Wort Jesu gehorsam zu sein, koste es, was es wolle. Mut hat, wer furchtsam ist, sich aber weigert, zu kapitulieren. Wie furchtsam auch die Diener der Gemeinde sind, ihnen ist Generation für Generation geboten worden, unverzagt zu sein. Hätten sie keine Furcht gehabt, wäre der Befehl sinnlos gewesen. Die Verantwortung für seinen Mut trägt der Christ selbst, denn da der Geist der Kraft in ihm wohnt, steht er ihm unbegrenzt zur Verfügung (2. Timotheus 1,7)

1.14. Fehlende Sündenerkenntnis

Auch das ist eine Frucht der Feigheit, die in unserer Zeit auch unter Frommen herrscht. Feigheit deshalb, weil sich viele, die sich Christen nennen, nicht mehr trauen, die schonungslose Diagnose Gottes über die Menschen nach zusprechen und damit Gott recht zu geben: „Der HERR sah, dass die Bosheit des Menschen sehr groß war auf der Erde und alles Trachten der Gedanken seines Herzens allezeit nur böse, da reute es den HERRN, dass er den Menschen gemacht hatte auf der Erde, und es betrübte ihn in seinem Herzen.“ (1. Mose 6,5-6)

Bei Evangelisationen wird nicht mehr zur Buße gerufen! In der Gemeinde wird nicht mehr auf die Notwendigkeit eines Sündenbekenntnisses hingewiesen (1. Johannes 1,9)! Viel sündhaftes Verhalten wird als Krankheit hingestellt. Wo früher mit der Kraft Gottes gerechnet wurde, rechnet man heute mit erfolgreichen Therapien.
Dabei ist von Anfang bis Ende DER Kampf, den wir zu kämpfen haben, nicht gegen Fleisch und Blut, auch nicht gegen uns selbst, sondern gegen die Sünde. Die „Fürsten und Gewalten“ (Epheser 6,12) hat Jesus besiegt und einen Triumph aus ihnen gemacht (Kolosser 1,13+16+2,15). Ist uns schon einmal aufgefallen, dass fast die ganze Bibel ein einziger Kampf gegen die Sünde ist? Nur die beiden ersten und die beiden letzten Kapitel sind frei von Sünde.

1.15. Zusammenfassung: Viel Menschenfurcht – wenig Gottesfurcht

Matthäus 10,28 - Keine Erweckung ohne Sündenerkenntnis und Sündenbekenntnis und nachfolgenden Gehorsam. (Esra 9-10 und Nehemia – Muster: Gottes Wort hören – Sünde erkennen – Sünde bekennen – Gott gehorchen - Freude)

2.Was unter „Gemeindezucht“ zu verstehen ist.

2.1. Es geht um „Gemeindeseelsorge“

Die Definition der „Seelsorge“:

  • In der „Seelsorge“ im weiteren Sinn, steht Gott uns Men­schen in einer bestimmten Not durch einen anderen Menschen bei.

  • „Seelsorge“ im engeren Sinn bedeutet: „Anderen in der Nachfolge Jesu zu helfen." Jede seelsorgerliche Beratung sollte in ihrem Kern eine von Anteilnahme geprägte Beziehung zwischen Menschen sein.

  • „Gemeindezucht“ ist ein unglücklich missverständliches Wort. Nach meinem Verständnis geht es hierbei um eine kon­sequent nach biblischen Maßstäben geübte „GEMEINDESEELSOR­GE“. Soll sie jedoch in rechter Weise in den Gemeinden eingeübt werden, muss dieses ganze Thema seinen negativ besetzten Klang verlieren. Deshalb spreche ich im folgenden auch über­wiegend von „Gemeindeseelsorge“.

Die Gemeindeseelsorge wurzelt in der Taufe. Denn in ihr hat der Christ vor vielen Zeugen eine Treueerklärung zu Christus und seinem Wort abgelegt. Durch dieses Zeuge-sein haben jedoch auch die Zeugen die Verpflichtung übernommen, diese Treue vom Getauften auf seinem Weg der Nachfolge wo nötig einzufordern.

Johannes Schneider schrieb hierzu: „Die Gemeinde­zucht gehört in das Gebiet der Seelsorge. Darum hat bei ihr die Liebe das erste Wort und nicht die Lieblosigkeit, die Gnade und nicht das Gesetz. Die Gemeindezucht ist keine Angelegen­heit der Leidenschaft, sondern der Weisheit und Barmherzig­keit. Denn die Gemeinde handelt, auch wenn sie Zucht übt, nicht als alttestamentliches Gesetzesvolk, sondern als neutesta­mentliche Glaubensgemeinde. So steht die Gemeindezucht zu aller erst im Zeichen der brüderlichen Ermahnung. Erst wenn kein seelsorgerlicher Zuspruch mehr hilft und die Gnade Got­tes völlig missachtet wird, ist der Ausschluss möglich.“ 2 (Lukas 17,3 „Habt acht auf euch selbst: Wenn dein Bruder sün­digt, so weise ihn zurecht, und wenn er es bereut, so vergib ihm!“)

2.2. Verirrte zurückholen

„Der sich an das Gleichnis von dem verlorenen Schaf anschlie­ßende Text Jesu über die Gemeindezucht ist nichts anderes, als eine ganz praktische Anweisung, die Jesus seiner Gemeinde gibt, wie sie dieses eine verirrte Schaf in seinem Namen und Auftrag zurückholen kann und soll.“ 3

Wenn in einer Gemeinde konsequent nach Matthäus 18,15-17 („Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein! Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde! Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Gemeinde; wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner!“) verfah­ren würde, dann wäre das, was vergröbert unter „Gemeinde­zucht“ verstanden wird, nur in Ausnahmefällen nö­tig.

2.3. Jedes Gemeindeglied muss seine Verantwortung wahrnehmen.

Wenn jedes Gemeindeglied sich seiner Verantwortung, die aus Matthäus 18,15f abgeleitet werden muss, stellen würde...

2.3.1. ...dann würde viel mehr aufeinander Acht gegeben. Denn Gemeindeseelsorge ist Aufgabe aller. Niemand darf sich DAVOR drücken.

Hebräer 12,15 „Achtet darauf, dass nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leide, dass nicht irgend­eine Wurzel der Bitterkeit auf sprosse und ‹euch› zur Last werde und durch sie viele verunreinigt werden.“

2.3.2. ...dann würde sich mancher Schaden gar nicht so auswach­sen. Manches Gemeindeglied würde sich gar nicht so weit von Jesus und seiner Gemeinde weg verirren können.

Hebräer 12,12-13 „Darum »richtet auf die erschlaff­ten Hände und die gelähmten Knie«, und »macht gerade Bahn für eure Füße!«, damit das Lahme nicht abirre, son­dern vielmehr ge­heilt werde.“

2.3.3. ...dann wäre auch ein größeres Verständnis für die Not­wendigkeit von strengen Maßnahmen vorhanden.

„Wo in einer Gemeinde diese andauernde geistliche Erziehung und Belehrung im Gemeindeleben fehlt, wird auch der bisweilen notwendige letzte Erziehungsschritt, der Ausschluss aus der Gemeinde, auf Unverständnis stoßen und kaum zum ge­wünschten Ergebnis, der Umkehr, führen.“ 4

2.4. Mangelndes Verständnis für „Gemeinde“ und „Erziehung“

Ein großer Teil des Problems mit dem Thema Gemeinde­seelsorge wurzelt in einem mangelnden Verständnis vieler Christen sowohl dem Themenkreis „Gemeinde“ als auch dem Themenkreis „Erziehung, Disziplin + Zucht“ gegenüber.

2.4.1. „Gemeinde“

Jesus hatte während seines irdischen Dienstes ein Hauptanliegen: seinen Vater zu verherrlichen. Aus diesem Grund erschien er oft äußerst streng, wenn er seine Bedingungen der Jüngerschaft darlegte. Sein Plan für die Gemeinde und die Welt ist so großartig, dass er es sich nicht leisten kann, halbherzige Jünger zu haben. Die Herr­lichkeit Gottes wird sich in denen offenbaren, die bereit sind, den Pfad des Gehorsams zu akzeptieren, den Weg des Kreu­zes und den Schmerz der Beziehungen.

2.4.2. „Erziehung, Disziplin, Zucht“

„Jeder Mensch muss durch Erziehung in das Leben eingeführt werden, damit er den ihm von Gott zugewiesenen Platz ausfüllen und das ihm von Gott gesteckte Ziel erreichen kann. Dazu sind bestimmte Kenntnisse erforderlich, welche ihm der Unterricht vermittelt, aber er muss auch zu einer bestimmten Lebensführung erzogen werden, und das erfolgt durch die Zucht. Von Natur liegt in allen Menschen der Zug nach unten, in die Sünde (1. Mose 6,5; Sprüche 1,16; Jeremia 3,17). Dem soll die Zucht entgegenwirken, und wehe dem, der sie hasst und sich ihr entzieht (Sprüche 5,12–14; 15,10). Wer willig ist (Sprüche 13,1), folgt dem er­mahnenden Wort (Sprüche 1,2+5; 23,12). Je mehr aber der Widerstand dessen wächst, der in der Zucht steht, um so schärfere Mittel muss die Züchtigung anwenden (Sprüche 13,14; 22,15; 23,13f), damit die Erzie­hung ein Weg zum Leben bleibt (Sprüche 6,23; 10,17).“ 5

Ich bespreche diesen Punkt deshalb ausführlicher, weil gerade das Unverständnis diesem Themenbereich gegenüber m.E. die Hauptursache der vernachlässigten Gemeindeseelsorge ist. Erziehung, Zucht und Disziplin sind Begriffe, die der moderne Mensch nur ungern gebraucht. Für viele Zeitgenossen schei­nen sie überholt zu sein. Wir leben in einem zuchtlosen Zeit­alter. Leider wissen auch Christen in der Regel nicht, was geistliche Disziplin ist, obwohl Gottes Wort deutlich und zentral davon spricht (2. Timotheus 1,7; Titus 2,12; 1. Korinther 9,24-27). Aber ohne Disziplin hat eine Bekehrung keinen Be­stand.

2.4.2.1.Was ist „Zucht“?

Zucht ist das Fragen und Suchen nach den Gesetzen, unter denen Leben sich erst entfalten und gedeihen kann, das Ge­heimnis, an dem Gelin­gen oder Verlust von Leben sich ent­scheidet. In­sofern ist Nachfolge Christi nur ein anderes Wort für Zucht. Die in der Nachfolge gewonnene innere Ordnung hat ihr Bewährungs­feld in unserem Verhältnis zum anderen Men­schen. Wer nicht in Zucht leben will, wird zum Narren – Sprüche 12,1. Eine der wichtigsten Funktionen des gemeinsamen Lebens ist die Aufrechterhaltung von Disziplin.

2.4.2.2.Wozu soll „Disziplin“ gut sein?

Eine große Anzahl von Christen haben heute nur ein rein gefühlsmäßiges „Gei­sterlebnis“, das häufig keinerlei Beziehung zu wahrer Selbstver­leugnung (= Disziplin) hat. Christen haben oft Wünsche, die niemals verwirklicht werden, Ziele, die sie nie erreichen, Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, das sie nie finden. Gewiss kann das an den begrenzten Fähigkeiten und Möglich­keiten des einzelnen liegen. Aber oft ist es auch im Charakter begründet und an der Unfähigkeit zu anhaltendem Fleiß. Einem viel versprechenden Anfang fehlt oft die Diszi­plin zum Durchhalten. Ihr ehrgeiziges Ziel übersteigt oft gar nicht ihre Fähigkeit, wohl aber ihre Disziplin. Die Gemeinde ist voll von glänzend begabten Christen, die sich nie über die Mittelmäßigkeit erheben, weil sie zu den er­forderlichen Opfern nicht bereit, weil sie zu faul und zu be­quem sind. Ziel aller Disziplin ist ein zuchtvol­ler Charakter, d.h.:

  1. Disziplin für unseren Körper: 1.Korinther 9,26-27 „Ich laufe nun so, nicht wie ins Ungewisse; ich kämpfe so, nicht wie einer, der in die Luft schlägt; sondern ich zerschlage meinen Leib und knechte ihn, damit ich nicht, nachdem ich anderen gepre­digt, selbst verwerflich werde.“

  2. Disziplin für unsere Gefühle: 1. Petrus 1,13 „Deshalb umgür­tet die Lenden eurer Gesinnung, seid nüchtern und hofft völ­lig auf die Gnade, die euch gebracht wird in der Offenba­rung Jesu Christi!“

  3. Disziplin für unser Zunge: Jakobus 3,2 „Denn wir alle strau­cheln oft. Wenn jemand nicht im Wort strauchelt, der ist ein vollkommener Mann, fähig, auch den ganzen Leib zu zü­geln.“

Der ganze Mensch soll auf diese Weise dem Geiste Gottes untertan werden. Die Kraft eines zuchtvollen Charakters wird besonders in Kri­senzeiten deut­lich. Ziel aller Disziplin ist ein zuchtvoller Charakter, der immer brauchba­rer für Gott wird.

Die erstrebenswerte Diszi­plin zwängt das Leben nicht in einen Be­tonblock festgelegter Routine ein, so dass neue Ideen und Entdeckun­gen sich nicht entfalten können, sondern sie wirft die alten Formen ab und merzt die unproduktiven Triebe aus, damit neue Möglichkeiten genützt werden können. Disziplin und Zucht sind keine Qualitäten, die um ihrer selbst willen erstrebt werden sollten. Sie haben reine Dienstfunktionen. Sie bie­ten uns praktische Hilfen zur Verwirklichung dessen, was der Heilige Geist in unserem Leben ausgestalten will. Ein Le­ben, das in der Heiligung geführt wird, empfindet Diszi­plin nicht als Zwang.

2.4.2.3.Vorbilder sind gefragt.

Nur wenn die Leiter/Trainer selbst Disziplin halten, mer­ken es die anderen und werden dann gewöhnlich auch bereit, ih­rerseits Disziplin zu lernen. Wir müssen es lernen, wichtige Dinge an die erste Stelle in unserem Leben zu setzen und sie da zu halten. (Stille Zeit, Gebet, Zeugnis, Gemeindebesuch, Familie) Disziplin ist für einen christlichen Leiter vor vielen anderen Qualitäten wichtig, denn ohne sie können die ande­ren Gaben, wie groß sie auch sein mögen, niemals voll aus­geschöpft werden. Was wirkliche Leiter über ihre Mitmen­schen hinaushebt, ist der Grad, mit dem sie die empfange­nen Gaben durch Hingabe an Gott und durch Selbstdisziplin ent­wickelten. Nur ein disziplinierter Charak­ter bewährt sich in verantwortlichen Stellungen. Wir haben die Wahl zwischen Diszi­plin und Abfall.

2.5. Christsein bedeutet Kampf

Da Nachfolge von vielen Christen heute eher mit einer Welt­anschauung als mit der Auseinandersetzung zwischen Licht und Finsternis, eher als Spaziergang, als mit Glaubens­kampf, eher mit Philosophie, als mit Wahrheit in Verbindung gebracht wird, steht vielen die Notwendigkeit von Zucht und Gehorsam nicht mehr deutlich genug vor Augen.

2.6. Worin besteht unsere Vollmacht?

Im Zusammenhang mit Gemeindeseelsorge ist stets die Frage nach der Vollmacht akut. Wer hat Vollmacht diese Art Seelsorge zu üben?

Jesus selbst, indem er uns in seinem Wort diesen Auftrag gab, gibt jedem, der diesem Auftrag gegen­über gehorsam sein will, die Vollmacht dazu. Das sollen wir glauben, deshalb können wir diese Aufgabe getrost angehen. In Markus 16,15-16 sagt Jesus: „Geht hin in alle Welt und verkündigt das Evangelium der ganzen Schöpfung! Wer glaubt und getauft wird, der wird gerettet werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“

Das Wort, das hier mit „verkündigen“ übersetzt wird, bezeichnet ursprünglich die Aufgabe eines „keryx“ d.h. eines „Herolds“. Ein Herold hatte die Willenserklärungen des Herrschers an dessen Untertanen weiterzugeben. Dabei war die persönliche Meinung des keryx vollkommen uninteressant. Seine Person war unwichtig im Vergleich zu seiner Botschaft, die keinesfalls „Privatsache“, sondern für alle Adressaten bindend war. Wer die Botschaft nicht hören wollte, musste das früher oder später vor dem verantworten, der den keryx gesandt hatte.

Ein Herold verkündigt nicht, was er „sich denkt“ oder „auf dem Herzen hat“. Er gibt weder seine Erklärung der Botschaft noch seine persönliche Einschätzung der Lage zum Besten. Er verkündigt ganz einfach die Botschaft des Regenten, unverfälscht, unverkürzt, aber auch ohne alle erklärenden Zusätze. Der Bevollmächtigte eines Menschen steht für den Auftraggeber selbst. Das heißt, der keryx ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Autorität, die hinter ihm steht. Entscheidend für die Vollmacht eines keryx sind weder sein Sendungsbewusstsein noch seine Begabung. Entscheidend für die Vollmacht eines Herolds ist, dass er entsandt wurde.

3. Warum wir Gemeindeseelsorge üben sollten.

3.1. Wir sind diesen Dienst Jesus schuldig.

Es ist Jesu eigenes Anliegen, das er uns als Auftrag hin­terlassen hat. „Jesus hat uns nicht beauftragt, alle geheimen Feh­ler unserer Geschwister aufzuspüren. Er möchte vielmehr, dass wir mit unseren Geschwistern zusammen eine vergebende, ver­ständnisvolle Gemeinschaft bilden, in der wir von unserer Schuld befreit, geheilt und so gestärkt werden können.“ 6 Grundlage aller rechten Weisheit ist die Furcht des Herrn. Sie ist der Anfang der Erkenntnis, ist der innere Halt im Leben, während Disziplin als äußerer Halt dazu tritt (Sprüche 1,7).

Weil Jesu Erlösungswerk nur dann ernst genommen wird, wenn die Sünde in ihrer furchtbaren Gefährlichkeit ernst genommen wird. Sünde in jeder Form verunehrt Gott. Das kön­nen und wollen wir nicht dulden, weder in unserem Leben, noch im Leben unserer Geschwister. Wenn die Sünde nicht ernst genommen wird, wird natürlich auch die Notwendigkeit der Gemein­deseelsorge nicht deutlich gesehen. Wir sind diesen Dienst Jesus schuldig.

3.2. Wir sind diesen Dienst unseren Geschwistern schuldig.

Wir nehmen nur dann den Bruder, die Schwester als solche ernst, wenn wir bereit sind, ihnen diesen Dienst zu tun. Natürlich trägt jeder Christ die Verant­wortung für die Sünde, in der er/sie lebt, wenn niemand etwas davon weiß, allein. Sobald die Sünde aber in der Gemeinde be­kannt wird, trägt auch die Gemeinde eine Verantwortung da­für. Wenn dann keine Gemeindeseelsorge erfolgt, sündigt die ganze Gemeinde. (1. Korinther 5,6-8 „Euer Rühmen ist nicht gut. Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durch-säuert? Fegt den al­ten Sauerteig aus, damit ihr ein neuer Teig seid, wie ihr ‹ja be­reits› ungesäuert seid! Denn auch unser Passah‹lamm›, Chri­stus, ist geschlachtet. Darum lasst uns Festfeier halten, nicht mit altem Sauerteig, auch nicht mit Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit Ungesäuertem der Lauterkeit und Wahrheit!“)

3.3.Wir sind diesen Dienst der Gemeinde schuldig.

Sie ist der „Leib Christi“. Christus will seine Gemeinde unsträflich dem Vater darstellen (Epheser 5,27). Deshalb sollen deren Glieder einander in Er­mahnung und Zucht helfen, damit niemand auf dem Weg zu­rückbleibt (Hebräer 4,1; 13,17). Wollen wir uns der Gemeinde gegen­über versündigen, weil wir diesen Dienst unterlassen? Die Gemeinde kann Gottes Gericht anheim fallen, wenn Gemeinde­seelsorge nicht geübt wird Offenbarung 2,14-25 - „Je eindeutiger die ethische Klarheit der Gemeinde war und je eindeutiger die Hei­ligkeit Gottes zu sehen war, desto mehr Menschen schlossen sich der Gemeinde an. Moralische Laxheit hat die Gemeinde Je­su noch nie wirklich und auf Dauer attraktiv gemacht.“ 7 (Kolosser 1,21-22 „Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart nach der Gesinnung in den bösen Werken, hat er aber nun versöhnt in dem Leib seines Fleisches durch den Tod, um euch heilig und tadellos und unsträflich vor sich hinzustellen“)

Bei der Gemeindeseelsorge geht es um die Aufrechterhal­tung der „Kampf­kraft“ der Gemeinde für den ihr verordneten Glaubenskampf. John Wesley, der Gründer der Methodi­stenkirche, hielt auf strenge Gemeindezucht. Er schrieb einmal in seinem Tage­buch: „Die Gemein­schaft, die im ersten Jahr aus ungefähr 800 Glie­dern bestand, ist nun auf 400 zusammenge­schmolzen. Aber....wir werden uns nun wegen keinem von die­sen mehr schämen müssen, wenn wir mit unseren Feinden auf der Straße sprechen!“ - Philipper 1,27 „Wandelt nur würdig des Evangeliums des Christus, damit ich, sei es, dass ich komme und euch sehe oder abwesend bin, von euch höre, dass ihr fest steht in einem Geist und mit einer Seele zusammen für den Glauben des Evangeliums kämpft“

Wir sind diesen Dienst besonders auch den Neu-getauften schuldig. Ihnen haben wir gera­de die hohen Gemeindegrundsätze des Neuen Testamentes beigebracht. Und was erleben sie dann im Gemeindealltag?

Wenn ei­ne Gemeinschaft glaubwürdig bleiben will, muss sie bereit sein, im Extremfall Mitglieder auszuschließen, die ih­re Grundüber­zeugungen verletzen. Auch Paulus sah im Ausschluss eine äu­ßerste Möglichkeit, die Wahrheit des Evangeli­ums zu bewah­ren. Eine Gemeinde, die den Ausschluss nicht als eine letzte Möglich­keit kennt, wird wahrscheinlich auch nicht glau­ben kön­nen, dass es eine Verwerfung im Endgericht gibt.

4. Wessen Aufgabe die Gemeindeseelsorge ist.

4.1. Die besondere Verantwortung der Ältesten

Gott gliedert Menschen in die Gemeinde ein. Er will, dass sie aufeinander achten. Dazu sind die „ÄLTESTEN“, die „AUFSE­HER“ (Apostelgeschichte 20,28) der Gemeinden berufen, insofern sie ihre BESONDERE VER­ANTWORTUNG für Gott und die Gemeinde wahrneh­men.

1. Petrus 5,1-3 „Die Ältesten unter euch nun ermahne ich, der Mit-älteste und Zeuge der Leiden des Christus ‹und› auch Teilhaber der Herrlichkeit, die geoffenbart werden soll: Hütet die Herde Gottes, die bei euch ist, nicht aus Zwang, sondern freiwillig, Gott gemäß, auch nicht aus schändlicher Gewinn­sucht, sondern bereitwillig, nicht als die, die über ihren Be­reich herrschen, sondern indem ihr Vorbilder der Herde wer­det!“

Sie sind vor Gott dafür verantwortlich, dass in der Ge­meinde keine Sünden und Irrlehren um sich greifen (Offenbarung 2,14–16) und dass kein Glied in seiner geistlichen Ent­wicklung zurückbleibt (Hebräer 12,15).

Wenn man die Aufforderung aus Galater 6,1 „Brüder, wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt wird, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen im Geist der Sanftmut wieder zurecht. Und dabei gib auf dich selbst acht, dass nicht auch du versucht wirst!“ mit der aus 1. Thessalonicher 5,14 „Wir ermahnen euch aber, Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, nehmt euch der Schwachen an, seid langmütig gegen alle!“ verbindet, ist zu erkennen, dass Paulus bestimmte Qualifikationen für diesen Dienst voraussetzt. Hierfür ist Erfahrung und Weisheit nötig, die nicht jeder Christ von vornherein hat. Paulus setzt z.B. voraus, dass die hier Angesprochenen folgende Unterscheidungen vornehmen können:

4.1.1. Wer sind die „Unordentlichen, Zügellosen, Unregelmäßigen“?

Was heißt es, diese „zurechtzuweisen, anzuweisen, zu warnen, zu ermahnen“ d.h. ihr Denken zurecht zu bringen?

4.1.2. Wer sind die „Kleinmütigen, Niedergedrückten“?

Wie kann man sie wirklich „trösten, ermutigen“?

4.1.3. Wer sind die „Schwachen, Kraftlosen, Unfähigen“?

Wie kann ich mich ihrer recht „annehmen, sie festhalten“? Was heißt das? Wie weit geht das?

4.1.4. Was heißt es, „langmütig, großmütig“ gegen alle zu sein?

Das Wort bedeutet, einen langen Weg bis zum Zorn haben. Es bedeutet: lange aushalten, lange ertragen im Gegensatz zu reizbar zum Zorn oder Strafen sein (1. Korinther 13,4; 2. Petrus 3,9); Geduld haben (Matthäus 18,26+29); ausharren, geduldig ertragen im Gegensatz zur Verzweiflung (Hebräer 6,15; Jakobus 5,7f); lange hinziehen, zögern, abwarten (Lukas 18,7). Es wird außer in Lukas 18,7 immer positiv gemeint und bedeutet eher Verständnis und Geduld haben gegenüber Personen.

4.1.5. Man darf die Schwachen nicht mit den Unordentlichen verwechseln, nicht die Niedergedrückten mit den Kraftlosen, sonst ist ein „entsprechender Dienst“ nicht möglich.

4.2. Die allgemeine Verantwortung eines jeden Gemeindegliedes

Die Gemeindeseelsorge ist jedoch nach übereinstimmendem Zeugnis des Neuen Testamentes aber auch JEDES GEMEINDEGLIED berufen, insofern es seine ALLGEMEINE VERANTWORTUNG für die Gemeinde wahrnimmt.

  1. 1. Petrus 4,10-11 „Wie jeder eine Gnadengabe emp­fangen hat, so dient damit einander als gute Verwalter der ver­schiedenartigen Gnade Gottes! Wenn jemand redet, ‹so rede er es› als Aussprüche Gottes; wenn jemand dient, ‹so sei es› als aus der Kraft, die Gott darreicht, damit in allem Gott verherr­licht werde durch Jesus Christus, dem die Herrlichkeit ist und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“

4.3. Regelmäßiger Besuch der Versammlungen ist wichtig.

Will man aber einander ermutigen, helfen, zurechtbringen, trösten, dann ist für ALLE Gemeindeglieder der regelmäßige Be­such der Versammlungen unerlässlich. Hier kann und soll ein­ander mit den empfangenen Gnadengaben gedient werden. Hier soll und kann man sich zum Tun des Gu­ten stärken und ermuti­gen. Hebräer 10,24-25 „Lasst uns aufeinander acht haben, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen, indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei einigen Sitte ist, sondern ‹einander› ermuntern, und ‹das› um so mehr, je mehr ihr den Tag herannahen seht!“

Natürlich sind auch Kontakte über die Versammlungen hin­aus wichtig und notwendig. Persönliches Nachgehen, Besu­che, ge­meinsam verbrachte Freizeit, gehören zum Leben des Christen.

5. Welche Ziele wir im Auge behalten sollten.

5.1. Alle sind verantwortlich!

Gemeindeseelsorge liegt in der Verantwortung jedes einzel­nen Gemeindegliedes ganz persönlich (Matthäus 18,15a „Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin..“). Deshalb sollte die Gemeindelei­tung unbedingt dem Eindruck entgegenarbeiten, sie allein sei für die Ge­meindeseelsorge zuständig, sonst wird diese Auf­gabe zu einer permanenten Überlastung der Gemeindeleitung.

5.2. Zurückgewinnung des Verirrten!

Die Hauptaufgabe aller Gemeindeseelsorge ist das Zurecht­bringen, das Zurückgewinnen Einzelner von Irrwegen der Sün­de in die volle Gemeinschaft mit Christus und seiner Gemeinde. Davon muss unser Auftreten geprägt sein. Das muss man uns ab­spüren und anmerken. (Matthäus 18,15 „Wenn aber dein Bruder sün­digt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein! Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.“)

5.3. Hauptziel ist Versöhnung!

Das Hauptziel der Gemeindeseelsorge ist Versöhnung. Das Hauptmotiv derer, die sie auszuüben haben, ist das Verlangen nach Versöhnung. Wer von diesem Verlangen beherrscht wird, wird über die Sünde trauern, welche die Gemeinde zur Zeit be­lastet (2. Korinther 12,21).

Dennoch darf die Ge­meinde nicht vor der Anwendung des äußer­sten Mit­tels zurück­schrecken, vor dem Ausschluss des Unbe­lehrbaren (Matthäus 18,15–18; 1. Korinther 5,3–5+13; 2. Korinther 6,14–17; 1. Timotheus 1,20; 2. Timotheus 3,5; Titus 3,10).

5.4. Wir sind FÜR die Menschen da!

Bei der Gemeindeseelsorge, selbst wenn ein Ausschluss aus der Gemeinde ansteht, gehen wir niemals GEGEN jemanden vor, sondern handeln immer FÜR den Betreffenden, d.h. ZU­GUNSTEN des Betreffenden. Alle Formen von Gemeindeseel­sorge, sogar der Ausschluss, soll dem Unbußfertigen helfen, zur Erkenntnis seiner Sünden und zu echter Buße zu kommen. (2. Korinther 12,19 „Wir reden vor Gott in Christus, alles aber, Ge­liebte, zu eurer Erbauung.“)

In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zum „Übergeben an Satan“ 1. Korinther 5,4-5 „wenn ihr und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus versammelt seid - einen solchen im Namen unseres Herrn Jesus dem Satan zu überliefern zum Verderben des Fleisches, damit der Geist errettet werde am Tage des Herrn.“ - „Dass dem Satan ein Mensch „übergeben“ wird, setzt voraus, dass ersterer entmächtigt wurde und jetzt nur noch ein Werkzeug in der Hand Jesu Christi ist. Wäre der Satan noch eigenmächtig, so würde die Übergabe eines Menschen an ihn diesen zum Verlust seiner ewigen Rettung führen. So aber übernimmt Satan das Verderben des Leibes (wörtlich: „Untergang des Fleisches“). Der lebenslange Kampf zwischen dem Geist Gottes und dem Fleisch des Menschen ist offensichtlich in diesem Fall nicht mehr möglich; denn der Blutschänder hat ihn aufgegeben, er hätte ja sonst nicht diese schandbare Heirat vollzogen. Folglich müssen die Gemeinde und ihr Apostel in die Bresche springen. Der Satan muss nun diesen Fleischesleib zum Verderben führen.

Was ist das Ziel dieser Züchtigung? „Damit der Geist gerettet werde am Tage des Herrn.“ Wieder vertritt, wie schon in Vers 3, der Geist den ganzen Menschen, der von Gottes Heilstat in Christus neu geschaffen wurde. Für diese Weltzeit sieht Paulus für jenen Übertreter keine Wiederherstellung mehr, weil er den Kampf zwischen Fleisch und Geist nicht an sich geschehen lässt, aber das, was Christus in ihn gelegt hat, geht auch durch seine grobe Sünde nicht verloren.“ 8

5.5. Vertrauensfrage

Bei der Gemeindeseelsorge geht es auch darum, das Vertrau­en in die Gemeindeleitung aufrecht zu erhalten. Wenn die Ge­meinde erkennt, dass die Gemeindeleitung ihre schwierige Auf­gabe unter Gebet mit viel Barmherzigkeit und doch in großem Ernst zu erfüllen sucht, wird das Vertrauen in sie gestärkt. (Apostelgeschichte 20,28 „Habt acht auf euch selbst und auf die ganze Her­de, in welcher der Heilige Geist euch als Aufseher eingesetzt hat, die Gemeinde Gottes zu hüten, die er sich erworben hat durch das Blut seines eigenen ‹Sohnes›!“)

5.6. Ansehen der Gemeinde

Bei der Gemeindeseelsorge geht es auch darum, über das An­sehen der Gemeinde zu wachen. Wir können es in der Apo­stelgeschichte und in den Briefen des NT deutlich erkennen, welch großer Wert auf das Ansehen der Gemeinde nach außen hin gelegt wurde. (Kolosser 4,5 „Wandelt in Weisheit gegenüber de­nen, die draußen sind, kauft die ‹rechte› Zeit aus!“ - 1. Thessalonicher 4,12 „damit ihr anständig wandelt gegen die draußen und niemanden nötig habt.“ - 1. Timotheus 3,7 „Er muss aber auch ein gutes Zeugnis haben von denen, die draußen sind, damit er nicht in übles Gerede und in den Fallstrick des Teufels gerät.“)

5.7. Ohne Ansehen der Person

Bei der Gemeindeseelsorge haben wir besonders darauf zu achten, dass wir den „Glauben ohne Ansehen der Person“ prak­tizieren. (Jakobus 2,1 „Meine Brüder, habt den Glauben Jesu Chri­sti, unseres Herrn der Herrlichkeit, ohne Ansehen der Per­son!“) Diese Einstellung muss für die Gemeinde klar und deut­lich er­kennbar sein. Es dürfen in diesem Zusammenhang keine fal­schen „Privilegien“ geduldet oder eingeräumt werden.

5.8. Wem sind wir verpflichtet?

Bei der Gemeindeseelsorge sind wir vor allem Jesus, seiner Gemeinde und seinem Wort gegenüber verpflichtet. (2. Korinther 13,8 „Denn wir vermögen nichts gegen die Wahrheit, sondern ‹nur› für die Wahrheit.“)

5.9. Gesundheit der Gemeinde

Wir haben Gemeindeseelsorge zu üben, damit die Ge­meinde sich gesund entwickeln, wachsen und Frucht brin­gen kann. Durch Sünde eines einzelnen Gliedes wird die ganze Gemeinde in Mitleidenschaft gezogen. Sünde ist keine Privatangelegen­heit. (1. Korinther 12,26 „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit.“) „Das Ziel der Gemeindezucht besteht also darin, dass die Gemeinde zum Segen auf Erden sein kann, dass sie eine wirkli­che Heimat für das Volk Gottes ist, ein Heim, das die Neu-bekehrten aufnimmt und pflegt, und dass Gottes Kraft sich in ihr offenbaren kann.“ 9

6. Wie wir praktisch vorgehen können.

6.1. Intakte Beziehungen sind Voraussetzung jeglicher Seelsorge

Wir brauchen unbedingt intakte Beziehungen, d.h. eine dankbare Grundhaltung allen Mitgeschwistern gegenüber. Nur wenn der Seelsorger für das Gemeindeglied, um das er sich bemüht, von Herzen dankbar ist und diese Einstellung der betreffenden Person bekannt ist, kann er seine seelsorgerlichen Bemühungen mit Aussicht auf „Erfolg“ beginnen. Paulus bringt in fast allen Briefen, in denen er viele ernste seelsorgliche Probleme ansprechen musste, stets zuerst seine Dankbarkeit für die Geschwister zum Ausdruck (Römer 1,8; 1. Korinther 1,4; Philipper 1,3).

Wenn wir jedoch den Eindruck vermitteln, dass wir nur dann jemanden ansprechen, wenn etwas mit ihm nicht „in Ordnung“ ist, dann kann leicht die Vermutung aufkommen, dass wir nur „von Amts wegen“ den Kontakt suchen, dass wir „nur immer etwas zu meckern“ hätten, dass wir an dem Menschen selbst gar nicht sonderlich interessiert wären u.ä. Wir müssen uns darum bemühen, in unseren Gemeinden intakte Beziehungen zu haben, die auch die Belastung einer Problemseelsorge verkraften. Dazu gehört es, dass wir z.B. positive Leistungen anerkennen, für Treue und gute Dienste dankbar sind und dieser Dankbarkeit auch angemessen Ausdruck geben.

6.2. Unterweisung tut Not

Wir haben die Gemeinde über die Notwendigkeit, die Art und Weise des Vorgehens und die Ziele der Gemeindeseelsor­ge zu unterweisen und praktisch anzuleiten.

Wir haben nach meinem Eindruck auch dafür zu sorgen, dass die Kunst der Gesprächsführung neu oder zum ersten Mal bewusst eingeübt wird. In unserem Medien- und Informationszeitalter hören Menschen mehr dem Radio oder dem Fernsehen zu, als ihrem direkten Gegenüber. Die Folge ist die immer stärker anwachsende Unfähigkeit, miteinander zu reden. Diese lässt immer mehr Christen davor zurückschrecken, ihre Verantwortung aus Matthäus 18,15f wahrzunehmen.

6.3. Die drei Instanzen

In Matthäus 18,15-17 werden drei Instan­zen genannt, die sich mit dem/der sündigenden Bruder/Schwe­ster zu beschäftigen haben. Jede kann die Sache zum Abschluss bringen, wenn der notwendige Ausgleich gefun­den wurde.

„Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein! Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde! Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Gemein­de; wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner!“

6.3.1. Erste Instanz: „Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein!“

Wenn dein Bruder sündigt.“ - Hier wird davon gespro­chen, dass ein mit mir durch Christus verbundener Mensch in seiner Beziehung zu Gott das Ziel verfehlt. Hier wird deut­lich, dass nicht nur mehrfaches Sündigen zu einem solchen Vorge­hen führen soll, sondern schon die einzelne Sünde ernst genommen werden muss.

So geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein!“ Das griechische Wort für „überführen“ bedeutet: „überzeu­gen durch die Überführung des Straftäters, überführen, an den Tag bringen, nachweisen, strafen als Folge der Überfüh­rung, stra­fend zurechtweisen.“

Galater 6,1 „Brüder, wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt wird, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen im Geist der Sanftmut wieder zurecht. Und dabei gib auf dich selbst acht, dass nicht auch du versucht wirst!“ Wir sol­len diesen Dienst also in dem Bewusstsein tun, dass wir auch in eine ähnliche Lage kommen könnten.

Es ist wichtig, dass wir es lernen, mit Menschen unter vier Augen über ihre Fehler zu sprechen. Eine Beziehung kann durch solch einen Dienst sehr vertieft werden (Sprüche 28,23 „Wer einen Menschen zurechtweist, findet letztlich mehr Gunst als einer, der mit der Zunge schmeichelt.“ Galater 2,11 „Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, weil er ‹durch sein Verhalten› verurteilt war.“ 2. Petrus 3,15 „Und seht in der Langmut unseres Herrn die Rettung, wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat.“). Das muss unbedingt geübt werden. Viele Christen geben hier auf, bevor sie ernsthaft geübt haben.

6.3.2. Zweite Instanz: „Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeu­gen Mund jede Sache bestätigt werde!“

In 5. Mose 19,15 hat Gott diesen Grundsatz für sein Volk an­geordnet: „Ein einzelner Zeuge soll nicht gegen jemanden auftreten wegen irgendeiner Ungerechtigkeit oder wegen ir­gendeiner Sünde, wegen irgendeiner Verfehlung, die er be­geht. ‹Nur› auf zweier Zeugen Aussage oder auf dreier Zeu­gen Aussage hin soll eine Sache gültig sein.“

Es soll nicht der Eindruck entstehen, es sei eine private Auseinanderset­zung zwischen zwei Einzelpersonen. Es soll deutlich wer­den, dass im Auftrag Gottes und seiner Gemeinde gehandelt wird. Auch hier ist das gemeinsame Ziel der zwei oder drei die Rückgewinnung des Bruders, der Schwester für Christus und seine Gemeinde. Die Zeugen müssen und sollen nicht Zeugen der begangenen Sünde, sie sollen Zeugen des Ge­sprächs zum Zwecke der Rückgewinnung sein. Sie sollen ei­ne objektive Schutzfunktion für die beiden Gesprächspart­ner darstellen. - Und wenn der Sünder nach wie vor nicht Buße tut?

6.3.3. Dritte Instanz: „Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Gemeinde; wenn er aber auch auf die Ge­meinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner!“

Jetzt ist die ganze Gemeinde zur Rückgewinnung des Irren­den aufgefordert. Besondere Gefahr bildet hier der „Ge­meindeklatsch“, der niemandem hilft, aber viele verletzt. Wenn ein Gespräch nicht zur Lösung des anstehenden Pro­blems beiträgt, dann sollte es unterlassen oder abgebrochen werden. - Jedes Gemeindeglied sollte sich ernsthaft vor Gott prüfen: „Was kann ich in diesem betreffenden Fall konkret tun?“ Auf alle Fälle für den Betreffenden beten, ihn anrufen, einen Brief schreiben, ehrlich gemeinte Geburtstagsgrüße schicken, besuchen, andere, die Gespräche mit ihm suchen in meine Fürbitte mit einschließen etc.

In der Gemeindeöffentlichkeit (Gemeindeversammlung) kann man z.B. so vorgehen:

  • Die Gemeinde wird informiert, um welche Person sich der Seelsorgekreis (die Ältesten, die Gemeindeleitung o.ä.) mit welchem „Erfolg“ bemüht hat. Es wird ausdrücklich zu anhalten­der Fürbitte für sie aufgerufen.

  • Freunde, Bekannte, oder solche, die früher einmal gu­te Kontakte zu der in Rede stehenden Person hatten, wer­den gebeten, erneut Kontakte aufzunehmen, um ei­nen neuen Zu­gang zu ihr herzustellen.

  • Zur gleichen Zeit bemühen sich Diakone/Älteste um Ge­spräche mit den betreffenden Personen oder treten schrift­lich mit ihr in Verbindung.

  • In der nächsten Gemeindestunde wird diskret über die Ergebnisse der Bemühungen berichtet. - Wenn keine ermuti­genden Ansätze zu erkennen sind, wird darum gebeten, die allgemeinen Bemühungen zu intensivie­ren, zugleich aber auch die Möglichkeit eines Aus­schlusses möglichst kon­kret („Wenn sich weiterhin nichts tut, in der Gemeindestunde, im nächsten Quar­tal“) erwähnt.

  • Damit soll erreicht werden, dass möglichst jedes Gemein­deglied mit in die Verantwortung für diese Menschen einbe­zogen wird. Keiner soll sagen können: „Ich habe nichts da­von gewusst! Ich habe einen guten Draht zu der Person! - Ich halte das Vorgehen für übereilt!“ usw.

  • Natürlich ist es dann wichtig, dass diesen Ankündigun­gen auch Taten folgen und man sich an die eigenen Vorgaben hält.

6.3.4. „So sei er dir wie der Heide und der Zöllner!“ Was bedeutet dieser Hinweis? Was meinte Jesus wohl damit?

Gerechte Juden hassten und verachteten Heiden und Zöll­ner. Sie mieden diesen Personenkreis, weil sie davor Angst hatten, sich zu ver­unreinigen. Wollte Jesus nun aber wirklich, dass wir unbußfertigen Sündern gegenüber eine ähnliche Haltung einnehmen? Seine Worte werden manchmal so gedeutet.

Je­sus Christus starb für Gottlose. Gott streckt seine Hände immer noch widerspenstigen Sündern entgegen. Es waren gerade die Zöllner und Sünder, die auf Je­su Versöh­nungsbotschaft besonders bereitwillig eingingen. Darum müssen wir aufpassen, damit die Begriffe „Zöllner“ und „Heide“ uns nicht dazu verleiten, in eine überhebliche, verurteilende Haltung zu verfallen. Davor warnt uns Jesus sehr deutlich. Wir sollen vielmehr über diese Tragödie am Leib Christi trau­rig sein. Wir müssen die Tür zur Verge­bung weit offen lassen. Menschen, die sich durch eigene Schuld von der Gemeinschaft abgeschnitten haben, müs­sen wir stets wie­der zu gewinnen trachten.

6.4. In kleinen Zellen beginnen

Da Gemeindeseelsorge ein notwendiger Bestandteil christli­chen Zusammenlebens ist, wird sie heute in den kleinsten Zel­len wie Zweierschaften oder Hauskreisen beginnen, d.h. einge­übt werden müssen. Hierzu haben wir Anleitung zu ge­ben.

6.5. Atmosphäre der Offenheit schaffen

Als Verantwortliche haben wir in der Gemeinde für eine At­mosphäre der Offenheit und Ehrlichkeit zu sorgen und selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Gemeindeseelsorge muss auf der ei­nen Seite diskret geschehen, auf der anderen Seite darf sie kein geheimnisvoller Nebel umgeben. Vorurteile („Der scheint es nötig zu haben!“) müssen abgebaut werden.

6.5.1. Sünden und Fehler dürfen nicht totgeschwiegen, nicht unter den Teppich gekehrt, aber auch nicht leichtfertig verurteilt wer­den. Es muss die Möglichkeit bestehen, Fehler und Sünden ein­zugestehen und abzustellen.

6.5.2. Sündenbekenntnisse müssen ohne Krampf möglich sein, oh­ne gefordert zu werden.

6.6. Von der Mahlfeier ausschließen

Der in manchen Gemeinden geübte Brauch, jemanden zeit­weise von der Mahlfeier auszuschließen, erscheint mir weder biblisch, noch hilfreich zu sein.

6.7. „Meiden“ und „Zurückziehen“

Das im Wort angesprochene „Meiden“ oder „Zurückzie­hen“ (Römer 16,17; 2. Thessalonicher 3,6) ist heute gewiss schwierig durch­zuführen, doch sollte darüber nachgedacht werden, wie jeman­dem auch durch solche Maßnahmen zurecht geholfen werden kann. Vielleicht sollte sich die Gemeinde von jemandem zu­rückziehen, aber einige besonders für den zurecht helfenden Dienst zugerüstete Personen sich noch einmal um diese Person kümmern.

7. Gefahren, denen man entgehen, Überlegun­gen, die man anstellen sollte.

7.1. Klagen gegen Älteste

Angesichts manch leichtfertigen Urteilens über Älteste, muss wieder verstärkt 1. Timotheus 5,19 zur Geltung gebracht werden. Dort heißt es: „Gegen einen Ältesten nimm keine Klage an, au­ßer bei zwei oder drei Zeugen!“ Das ist eine klare und hilfreiche Weisung des Wortes Gottes.

7.2. Oberflächliche Besserung reicht nicht aus.

Wir dürfen bei der Gemeindeseelsorge nicht mit oberflächli­cher Besserung („Er besucht doch wieder den Gottesdienst!“) zufrie­den sein. (Jeremia 6,14 „Sie heilen den Bruch der Tochter meines Vol­kes oberflächlich und sagen: Friede, Friede! - und da ist doch kein Friede.“)

7.3. Der Erziehungsgedanke steht im Vordergrund.

Bei der Gemeindeseelsorge geht es nicht um die Verhängung einer „Strafe“. Die Strafe trug Jesus für alle Menschen. Es geht hierbei um eine Erziehungsmaßnahme, die Besserung und Um­kehr zum Ziel hat.

7.4. Es geht nicht zuerst um Ausschluss.

Bei der Gemeindeseelsorge geht es nie vorrangig um den Ausschluss aus der Gemeinde. Der ist nur der allerletzte schmerz­liche Schritt der Gemeindeseelsorge, wenn alles Be­mühen um die Rückgewinnung des in Sünde geratenen nichts gefruchtet ha­ben.

7.5. Es sitzen nicht „Gerechte“ zu Gericht über „Ungerechte“.

Bei der Gemeindeseelsorge sitzen nicht „Gerechte“ zu Ge­richt über „Ungerechte“, sondern es bemühen sich begnadigte Sün­der und Gotteskinder um solche, die im Begriff stehen, die teu­re Gnade Jesu zurück zu weisen.

7.6. Gemeindeseelsorge ist ein Netz

In der Gemeindeseelsorge zu sein ist keine „Schande“ für den Betreffen­den, sondern eine Chance zum Zurechtkommen. (1. Korinther 12,24 „Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und da­bei dem Mangelhafteren größere Ehre gegeben“) Wir müs­sen diesen ganzen Komplex positiv sehen lernen. Gemeindeseel­sorge ist das „Netz“, welches vor dem endgültigen Absturz be­wahrt.

7.7. Kein Gesetzesdienst

Bei der Gemeindeseelsorge geht es nicht darum, irgendeinem „Gesetz“ genüge zu tun. Es geht um ein rechtes Bestehen in der Freiheit, zu der uns Chri­stus freigemacht hat. (Galater 5,13 „Denn ihr seid zur Freiheit be­rufen worden, Brüder. Nur ‹ge­braucht› nicht die Freiheit als Anlass für das Fleisch, sondern dient einander durch die Liebe!“)

7.8. Kein geistlicher Hochmut

Es darf zu keinem geistlichen Hochmut denen gegenüber kom­men, die „gefallen“ sind. (1. Korinther 10,12 „Daher, wer zu ste­hen meint, sehe zu, dass er nicht falle.“)

7.9. Kaltes Herz - heißes Blut

Sünden des „kalten Herzens“ müssen genau so behandelt wer­den, wie Sünden des „heißen Blutes“. Auch dürfen wir nicht bürgerlichen Anstand, westeuropäische Sitte und baptistische Tradition zum Maßstab unserer Gemeindeseelsorge machen.

7.10. Vorbeugende Maßnahmen sind gefragt.

Wir müssen rechtzeitige Hilfen für Gefährdete anbieten. „Gemeindeseelsorge“ darf nicht nur „re-aktiv“ geschehen, son­dern muss aktiv , d.h. vorbeugend geübt werden.

Abschließen will ich mit einer Bemerkung von Dietrich Bonhoeffer zum Thema:

„Unerlässlich, weil von Gottes Wort geboten, ist die Zu­rechtweisung dort, wo der Bruder in offenbare Sünde fällt. Im eng­sten Kreise beginnt die Übung der Zucht der Gemeinde. Wo der Ab­fall vom Worte Gottes in Lehre oder Leben die häusliche Gemein­schaft und damit die ganze Gemeinde gefährdet, dort muss das er­mahnende und strafende Wort gewagt werden. Nichts kann grausa­mer sein als jene Milde, die den anderen seiner Sünde überlässt. Nichts kann barmherziger sein als die harte Zurechtweisung, die den Bruder vom Wege der Sünde zurückruft. Es ist ein Dienst der Barm­herzigkeit, ein letztes Angebot echter Gemeinschaft, wenn wir allein Gottes Wort zwischen uns stehen lassen, richtend und helfend. Nicht wir richten dann, Gott allein richtet und Gottes Gericht ist hilfreich und heilsam. Wir können bis zuletzt dem Bruder nur dienen, uns nie­mals über ihn erheben, wir dienen ihm auch dort noch, wo wir ihm das richtende und trennende Wort Gottes sagen, wo wir im Gehor­sam gegen Gott die Gemeinschaft mit ihm aufheben.“ 11

Manfred Herold

1 White/Blue, „Heilung für Verwundete“,Vlg. Francke Buchh., S. 33

2 J. Schneider, „Die Gemeinde nach dem Neuen Testament“, S. 100

3 Th. Schirrmacher, „Ethik 2“, Hänssler Vlg., S. 568

4 Th. Schirrmacher, „Ethik 2“, Hänssler Vlg., S. 587

5 „Lexikon zur Bibel“ Rienecker/Maier, Artikel „Erziehung“

6 J. White/K. Blue, op. cit., S. 30

7 Schirrmacher, op. cit., S. 576

8 D. Schneider, „Der Geist des Gekreuzigten“, edition aussaat, S. 59

9 L. Pethrus, „Reine Gemeinde“, Dynamis Vlg, S. 45

11 D. Bonhoeffer, „Gemeinsames Leben“, Chr. Kaiser Vlg. München, S. 92

Manfred Herold