Manchmal verstehen wir Jesus nicht.

Wenn uns Schicksalsschläge treffen, seien es Unfall, schwere Krankheit oder der Tod eines lieben Angehörigen, dann geraten viele Christen in verständliche Fragen und tiefe Zweifel: „Warum traf ausgerechnet mich dieses Unglück?“ - „Warum erhört Gott meine Gebete nicht?“- „Warum tritt keine Besserung oder Heilung ein?“ - „Ist Ihm mein Ergehen gleichgültig?“

Wir dürfen Gott so fragen und manchmal antwortet Er auch, - zu Seiner Zeit. Oft besteht jedoch Seine Antwort darin, dass wir erkennen: Mit meiner Beurteilung der Lage hatte ich Jesus völlig missverstanden! Er hatte Größeres, Besseres, Anderes, vielleicht sogar Herrlicheres mit mir im Sinn, als ich ahnte!

Wir erleben dann: Solche Fragen, Zweifel und Enttäuschungen sind nötig, weil sie unsere selbst gemachten, sehr oft einseitig an Erfolg, schneller Hilfe und Heilung orientierten Vorstellungen von Gott und Seinem Handeln zerstören und uns auf diesem Weg zu mehr Geduld, größerer Tragkraft, klarerer Gotteserkenntnis und festerem Gottvertrauen verhelfen.

Wir wollen gemeinsam Johannes 11,1-44 betrachten und werden sehen, dass bereits die Jünger damals Jesus manchmal überhaupt nicht verstanden, aber auch wie sie Zug um Zug Jesus immer mehr vertrauen und Ihm besser zu folgen gelernt haben.

1. Manchmal verstehen wir Jesu Absichten nicht!

Verse 1-4 - Lazarus, den Jesus lieb hatte, war krank. Hier könnte bereits das erste Missverständnis auftreten: Jesu Liebe zu Lazarus (und uns) verhindert weder Krankheit, noch heilt Er sie nach ihrem Ausbruch sofort. Es wird weder von mangelhaftem Glauben bei Lazarus gesprochen, noch davon, dass Jesus ihn durch diese Krankheit etwas lehren wollte. Aus Vers 15 erfahren wir, dass ANDERE glauben lernen sollten. Das war Jesu Absicht. - Lassen wir solche Lektionen überhaupt an uns heran? Sollten wir hier nicht Buße tun, d.h. umdenken lernen?!

Jesu Liebe ist anders, als unsere Vorstellungen von ihr. Es ist keine Liebe, die uns schwere Zeiten, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unverständnis, Unfall oder Tod erspart. Aber Er hat versprochen, uns in solchen Zeiten an die Hand zu nehmen und uns durchs manchmal sehr lange und sehr dunkle Tal im Angesicht unserer Feinde zum Ziel zu führen. Bleiben wir auf solchen Wegen an Seiner Hand!?

Die Aussage Jesu in Vers 4 war doppeldeutig: Jesus meinte, die Krankheit führe nicht zum „tot bleiben“, die Zuhörer verstanden aber, sie führe nicht zum Sterben! Seine Absicht war es, die Herrlichkeit Gottes in dieser Notlage zum Strahlen zu bringen. - Wir denken oft nur an uns! Haben wir nicht auch darüber Buße zu tun?!

Wir missverstehen Jesus, wenn bei der Beurteilung einer Situation unsere Wünsche und nicht Seine Ziele unser Maßstab sind.

2. Manchmal verstehen wir Jesu Verhalten nicht!

Verse 5-6 - Obwohl in Vers 5 nochmals ausdrücklich Jesu Liebe zu den Geschwistern betont wird, geht Er nicht sofort nach Bethanien, sondern bleibt erst einmal, wo Er ist. - „Will Er Lazarus denn nicht helfen?“ mögen sich sowohl die Jünger, als auch die Geschwister in Bethanien gefragt haben. - „Hat Er vielleicht Wichtigeres zu tun?“ ging es Martha vielleicht durch den Kopf. „Aber was gibt es denn Wichtigeres, als einem Freund in Not zu helfen? - Warum kommt Er denn nicht endlich bei?!“

Und die Jünger, die ja sahen, dass Jesus nichts Wichtiges zu tun hatte, machten sich wahrscheinlich auch so ihre Gedanken: „Dass Er den Lazarus so hängen lässt, hätte ich nicht von Ihm gedacht.“ - „Wenn Er wenigstens für ihn beten würde!“ - „Wird Er uns, wenn wir einmal Seine Hilfe brauchen, auch so im Stich lassen?“

Wie oft haben wir unsere Probleme mit der ausbleibenden Hilfe Jesu und missverstehen Sein Abwarten. Wir halten Sein Zögern für Unwilligkeit oder Gleichgültigkeit. - Hier ist Buße nötig, die z.B. ihre Frucht auch darin zeigt, dass wir unseren Mitmenschen, die auf Antwort oder Hilfe Gottes warten, nicht durch oberflächlich frommes Gerede die Zeit des Wartens noch erschweren, sondern ihnen echte Zeichen mitfühlender Liebe zukommen lassen.

Wir missverstehen Jesus, wenn wir Sein Abwarten als Gleichgültigkeit oder als Mangel an Hilfsbereitschaft deuten.

3. Manchmal verstehen wir Jesu Motive nicht!

Verse 7-16 - In Bethanien, wie bei den Jüngern mag der Gedanke aufgekommen sein: „Jesus hat Angst, wieder in den Süden zu gehen. Denn vor wenigen Tagen wäre Er dort ja fast gesteinigt worden (Johannes 8,59).“ Manche Jünger waren vielleicht sogar erleichtert, dass Jesus so „vernünftig“ war, sich nicht solch einer Gefahr auszusetzen. Sie waren von Seinen Entscheidungen ja mitbetroffen. Ein anderer mag gedacht haben: „Das Risiko ist Ihm zu groß. Er denkt eben auch zuerst an Sich. Wer kann Ihm das verdenken? Er hat ja schließlich noch viel vor.“

Aber auch hier wird Jesus von ganz anderen Motiven geleitet: Weder die Krankheit des Lazarus, noch die Not der Schwestern, weder Seine, noch der Jünger Sicherheit veranlasste oder verhinderte Sein Handeln! Ihn trieb einzig das Verlangen, die Ehre des Vaters zu mehren, Seine Macht über den Tod zu erweisen, die Jünger Glauben zu lehren. Das waren Seine Motive (Matthäus 6,33). Jesus ertrug und erträgt es, missverstanden zu werden, behielt und behält aber Sein Ziel mit uns unbeirrt im Auge.

Müssen wir nicht auch da Buße tun, wo wir Jesu Tun und Lassen andere als Liebesabsichten unterstellt haben?! Nicht weil wir in unserem Leben bereits alle Seine Liebesabsichten verwirklicht sähen, vertrauen wir Ihm, sondern weil wir es Jesus zutrauen, dass Er sie auch in unserem Leben noch durchsetzen wird, entweder in unserer Lebenszeit, ganz gewiss jedoch in der Ewigkeit!

Wir missverstehen Jesus, wenn wir meinen, irgend ein Eigeninteresse, unsere Not oder die Probleme anderer würden Ihn zum Handeln veranlassen.

4. Manchmal verstehen wir Jesu Worte nicht!

Verse 17-27 - Stellen wir uns vor, der Bote hat den Schwestern das Wort Jesu aus Vers 4 mitgeteilt. Wie werden sie sich über diese Verheißung gefreut haben. Und dann der Schock, als Lazarus starb. Gewiss dachten sie: „Jesus hat Sein Wort gebrochen! Hatte Er sich geirrt? Hatte Er den Mund zu voll genommen?“

Sie damals und wir heute haben es zu lernen, dass Jesu Wort tiefer geht, weiter reicht und umfassender ist, als unsere Theologien, Vorstellungen, Erkenntnisse und Erfahrungen. Martha wusste viel über die Auferstehung. Aber dieses Wissen stand ihr im Wege, als es darum ging, Jesu Wort im Augenblick richtig zu verstehen. Ihr biblisches Wissen hätte fast ein tieferes Kennenlernen Jesu verhindert. Sie meinte, Bescheid zu wissen und doch missverstand sie Jesus völlig.

Martha hatte Glauben für gestern („wenn du hier gewesen wärest..“) und sie hatte Glauben für morgen („er wird auferstehen am Jüngsten Tag“), aber für den jetzigen Augenblick fehlte er ihr. Sie sollte dem gegenwärtigen Jesus Christus und nicht ihren auswendig gelernten Glaubenssätzen vertrauen lernen.

Haben wir nicht auch an diesem Punkt Buße zu tun, wo wir trotz aller frommen Theorie, hier und jetzt keinen lebendigen Glauben an Jesus und keine konkrete Erwartung an Ihn haben?

Wir missverstehen Jesus, wenn wir uns auf dogmatischen Richtigkeiten ausruhen und darüber den lebendigen, gegenwärtig wirksamen Herrn vergessen.

5. Manchmal verstehen wir Jesu Zeitplan nicht!

Verse 28-32 - Hier hören wir einige der wenigen Worte aus dem Mund der Maria. Sie hörte sonst lieber zu, schwieg und ließ Jesus reden (Lukas 10,38f; Johannes 12,1f). Aber DAS musste jetzt doch gesagt werden: „Herr, wenn Du hier gewesen wärst, so wäre mein Bruder nicht gestorben!“ Klingt hier ein leiser Vorwurf mit? Das war den Schwestern klar: „Wenn.., ja wenn Du nur..!“ Sie hatten keine Schwierigkeiten zu glauben, dass Jesus ihren kranken Bruder heilen konnte, aber jetzt – jetzt war es zu spät. Die gegenwärtige Situation, war neu für sie und schon fiel es ihnen schwer, Jesus auch darin zu vertrauen.

Jesus aber kam und kommt es stets darauf an, nicht nur das Richtige zu tun, sondern es auch zur rechten Zeit zu tun (Johannes 7,6). Weil unsere Zeitpläne oft nicht mit dem göttlichen Zeitplan übereinstimmen, geraten wir in Fragen, Zweifel und große Not. Auch hier sollten wir uns eine bußfertige, d.h. lernwillige Haltung schenken lassen und bewahren.

Wir missverstehen Jesus, wenn wir meinen, für Ihn gäbe es ein „zu spät“ und nicht mehr mit einer noch größeren Offenbarung der Herrlichkeit Gottes rechnen.

6. Manchmal verstehen wir Jesu Vorgehen nicht!

Verse 33-44 - Wenn sich die Schwestern schon die „Verspätung“ Jesu nicht erklären konnten, so verstanden sie Sein jetziges Vorgehen noch weniger. Martha widerspricht rundweg, als Jesus handeln will.

Neue Gottesherrlichkeiten liegen immer jenseits unserer bisherigen Glaubenserfahrungen. Martha war nicht bereit, auf Jesus einzugehen, weil das Kommende über das von ihr bisher Erlebte weit hinausging. Auf dem Gebiet der Verwesung war die Macht Gottes durch Jesus bisher noch nicht offenbar geworden. Das verhaftet sein in ihren Erfahrungen verhinderte das Verstehen Jesu und führte fast zum Ungehorsam, der Jesu Vorgehen blockiert hätte und heute oft blockiert.

Später sahen es die Schwestern ein: Jesus kommt nie zu spät! Sein Warten bereitet nur den Boden für tieferes Erkennen Seiner Herrlichkeit vor. Wie sehr muss Jesus unter all den Missverständnissen Seiner Freunde gelitten haben. - Wir wollen Buße darüber tun, wo wir Jesus in unserer begrenzten Sicht in den Arm gefallen sind und neue Offenbarungen Seiner Macht und Stärke ohne es zu wollen verhindert haben.

Wir missverstehen Jesus, wenn wir unsere Erfahrungen oder unser Vorstellungsvermögen zum Maßstab Seines Handelns machen.


Manfred Herold


Manfred Herold