Gott wählt Menschen aus – ist das gerecht?

Ein Aspekt der Souveränität Gottes ist Seine freie Gnadenwahl. Worauf gründet die Lehre von der freien Gnadenwahl Gottes, und was meine ich damit? Im Folgenden führe ich die wichtigsten Bibelstellen dazu auf, von denen wir einige genauer studieren werden:

  • Altes Testament: 5. Mose 4,37; 7,6-8; 10,14-15; 14,2; 18,5; 21,5

  • Neues Testament: Apostelgeschichte 13,48; Römer 8,28-30; 9,6-24; Galater 1,15-16; 1.Korinther 1,27-28; Epheser 1,4; 2. Thessalonicher 2,13

Epheser 1,3-6+11-12

Mit welchen drei Feststellungen konfrontiert Paulus hier die Epheser?

  • Gott wirkt alles nach dem Vorsatz seines Willens (Vers 11).

  • Gott bestimmt allein und souverän, welche Menschen er zu seinen Kindern und Erben erwählt (Verse 5 und 11).

  • Gott hat diese Wahl getroffen, ehe der Welt Grund gelegt war (Vers 4).

Also: Noch bevor der Planet Erde existierte, hat Gott festgelegt, welche von den Menschen, die im Laufe der Jahrtausende auf der Erde leben würden, wiedergeboren und gerettet werden würden. Dazu liefert uns die Bibel noch ergänzende Details:

Johannes 6,44: „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, dass ihn der Vater zieht, der mich gesandt hat; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.“ - Wer ist hier bei jeder Bekehrung der aktive Teil? - Der Vater - Hier legt Jesus dar, dass zwar viele ihn hören, aber nur diejenigen zu ihm kommen und ihm gehören werden, die vom Vater zu Ihm gezogen werden.

Matthäus 11, 27: „Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden, und niemand erkennt den Sohn als nur der Vater; und niemand erkennt den Vater als nur der Sohn und der, welchem der Sohn es offenbaren will.“ - Wer ist hier der Aktive bei jeder Bekehrung? - Der Vater und der Sohn

Römer 8,11: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesus aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird derselbe, der Christus aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“ Wer ist hier der Aktive bei jeder Bekehrung? - Der Geist

Das heißt: Viele Menschen hören die Wahrheit Gottes, manche vielleicht Jahre und Jahrzehnte lang. Aber nur diejenigen finden den Weg zu Jesus, die vom Vater im Himmel gezogen werden. Das ist eine sehr starke Formulierung: Man kann den Weg zu Jesus weder allein finden, noch allein gehen. Man muss von Gott gezogen werden. Zugespitzt gesagt: Gott bietet allen die Wahrheit an und lädt alle zur Buße ein. Aber Er entscheidet, wem Er Buße schenkt. Denn kein Mensch will sie! In 2. Timotheus 2,25 heißt es darum: „Ein Knecht des Herrn aber ist jemand, der ... mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweist, ob ihnen Gott vielleicht Buße gebe, die Wahrheit zu erkennen.“

Gott allein legt fest, wem er die Buße schenkt. Wenn das Geschenk der Buße angenommen wird, dann, so sagt die Bibel, sorgt Gott auch für alles Weitere: Für das neue Leben, den Wandel in der Heiligung, Frucht des Geistes und auch für die Verherrlichung in der Ewigkeit. Er allein sorgt souverän für alles!

Römer 8,28-30: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.“

Diese Stelle wird oft zu dem Zweck angeführt, um die Vorherbestimmung Gottes als bloßes Vorherwissen Gottes zu erklären. Eine sorgfältige Auslegung des Textes lässt dies nicht zu:

Zunächst hat Gott uns in der Ewigkeit vor aller Zeit schon „vorher erkannt“. Es geht dabei nicht um ein rein verstandesmäßiges Wissen. Was sein Wissen betraf, kannte er bereits jeden, der je geboren werden würde. Doch sein Vorherwissen umfasste nur diejenigen, die er „vorherbestimmt hat, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein“. Deshalb war es ein Wissen mit einem Ziel, das niemals verfehlt werden konnte. Es ist eine unzureichende Feststellung, wenn man sagt, dass Gott diejenigen „vorher erkannt“ hat, von denen er wusste, dass sie eines Tages Buße tun und an ihn glauben würden. In Wirklichkeit ist es sein Vorherwissen, das schließlich die Buße und den Glauben sicherstellt (z.B. auch Römer 9,11+16).

Die Aussage dieses Abschnittes ist folgende: Gemäß Gottes ewigem Vorsatz hat er uns schon zuvor (d.h. bevor wir existierten) in liebender Zuwendung erwählt und bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein. Als es ihm gefiel (Galater 1,15-16), hat er uns dann gerufen/berufen. Die vorher Erkannten sind zugleich die zur Sohnschaft Bestimmten, die Berufenen, Gerechtfertigten und Verherrlichten. D.h. das Vorher-Erkennen Gottes beschränkt sich genau auf diejenigen, die er rettet.

Das Wunderbare an Römer 8,28-39 ist ja gerade, dass Gottes Liebe zu uns durch nichts anderes bedingt ist als durch seine freie Gnadenwahl. Daher kann nichts und niemand uns von dieser Liebe trennen. Darum brauchen wir uns auch vor keiner Anklage zu fürchten. Wenn Gott, der souveräne Gesetzgeber und Richter uns erwählt hat, um uns in Christus zu begnadigen ganz unabhängig von unseren Werken (siehe auch Epheser 2,8-9) - wer will uns dann anklagen?

Immer wieder hört man in Predigten, dass Jesus außerhalb des Herzens des Sünders stehe und anklopfen würde. Der Mensch müsse dann selbst den entscheidenden Schritt zu seiner Erlösung unternehmen und die Tür öffnen.

Römer 9,6-18

Hier haben wir einen der unmissverständlichsten Bibeltexte zu unserem Thema. Wir lernen daraus unter anderem Folgendes:

  • Das Prinzip der Erwählung wird an der Geschichte des Volkes Israel sichtbar. Gott hat nicht nur Abraham erwählt, sondern aus Abrahams Söhnen nur den Isaak und aus Isaaks Söhnen nur den Jakob.

  • Gott erwählte Jakob vor Esau, bevor sie Gutes oder Böses getan hatten, sodass der Grund für die Erwählung allein in Gottes Vorsatz und nicht aufgrund von Werken des Erwählten war.

  • Gott liebte den Jakob und hasste den Esau.

  • Er wendet sein Erbarmen nach freier Auswahl zu, wem er will.

  • Unser Glaube ist nicht Voraussetzung für die Erwählung, sondern deren Folge, ein Werk der Gnade.

  • Nicht auf den wollenden und handelnden Menschen sondern auf den erbarmenden Gott kommt es letztlich an.

  • Gott hat nicht nur das Recht, sich zu erbarmen über wen er will, sondern auch zu verhärten, wen er will, um seine Macht an denen zu zeigen, die ihm widerstehen.

  • In all dem ist Gott nicht ungerecht.

  • In welcher Beziehung sind alle Menschen gleich? - Sie sind alle Sünder, verdienen deshalb alle den Tod und die Hölle. Was sollte Gott über uns, seine Feinde, anderes beschlossen haben als die ewige Verdammnis?

  • Wer nur kann diesem Schicksal entgehen? Was sagt Römer 9,10-16 dazu? - Der von Gott Erwählte, der deshalb Buße tut, glaubt, sich Christus zuwendet, wiedergeboren wird. (Also nicht: Weil ich Buße getan habe! Oder: Weil ich mich für Christus entschieden habe! - Das sind alles Folgen der grundlosen Erwählung durch Christus.

  • Gibt es ein Recht auf Gnade?

Weil wir Menschen heute eine so hohe Meinung von uns haben, verwundert es nicht, dass die Überzeugung des ehemaligen Bundespräsidenten Weizsäcker - „Jeder Mensch ist gnadenwürdig!“ - Allgemeingut geworden ist. Wenn dann noch die diffuse Meinung, es sei ja Gottes Beruf, gnädig zu sein, dazu kommt, ist klar, dass viele Zeitgenossen glauben, es gäbe einen Anspruch auf Gnade! Das ist falsch! Niemand kann von Gott Gnade fordern.

Bestenfalls können wir Gerechtigkeit von Gott verlangen. Dies hieße aber für jeden von uns die sichere, ewige Verdammnis. Gott schuldet niemandem einen Aufschub, niemandem Nachsicht oder Barmherzigkeit (Römer 9,16). Gott ist und bleibt völlig frei, gnädig zu sein oder nicht gnädig zu sein. Um Jesu willen hat er sich aber entschlossen, gnädig zu sein; d.h. er will Menschen, die den Tod verdienten, mit ewigem Leben beschenken, - so sagt es uns die Bibel (Römer 3,23-24).

Gedanken zur Erwählungslehre der Bibel

  • Es ist zu beachten, dass Gott uns nicht alle Seine Geheimnisse geoffenbart hat.

  • Die göttliche Erwählung ist mit rationalem Denken nicht zu erfassen, sie kann nur unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Heiligen Schrift und der Erleuchtung durch den Heiligen Geist erkannt und geglaubt werden.

  • Wichtig ist weiter, dass wir weder über das in der Bibel uns Gesagte hinaus gehen (also keine Spekulationen), noch hinter dem zurückbleiben (nichts weglassen).

  • Der Vater hat niemanden an und für sich erwählt, sondern alle nur "in Christus" (Epheser 1,4), weil Er sie allein in Ihm hat lieben können.

  • Weil Gott es sich vorgenommen hat, dich zu retten, bist du zum Glauben gekommen. Er hat nicht auf deinen Glauben gewartet, sondern ihn dir geschenkt. (Römer 8,28; Johannes 15,16)

  • Gott hat uns nicht deshalb erwählt, weil er Glauben in uns voraussah. Umgekehrt ist es wahr: Er hat uns erwählt, damit wir glauben (Jakobus 2,5).

  • Erwählung hat definitionsgemäss nicht im Erwählten, sondern im Erwählenden seinen Grund, sonst wäre es Belohnung. Gott wurde von denen gefunden, die Ihn nie gesucht hatten (Römer 10,20).

  • Das Evangelium fordert auf Grundlage der Heiligkeit Gottes den Menschen auf, die Sünde zu lassen und an Christus zu glauben und verspricht zugleich, beides aus Gnaden im Menschen zu wirken.

  • Die Nicht-Erwählten werden nicht aktiv von Gott verworfen, sondern sie stehen von Anbeginn an im Abseits und verdienen ihre Verurteilung als elende Sünder völlig zu Recht.

  • Alle Gottlosen in der Hölle werden einmal bekennen, dass sie wegen ihrer Weigerung, ihre Sünden zu bereuen, zu Recht in der Hölle sind. Die Gerechten werden für immer über die Größe der Gnade Gottes erstaunt sein und Jesus Christus dafür in Ewigkeit anbeten.

  • Ulrich Zwingli schrieb in seinem Werk "Von der Erwählung" (1530): "Thomas von Aquino ... dachte über die Prädestination so: Da Gott alles sieht, bevor es wird, so prädestiniert er den Menschen dann, wenn er in seiner Weisheit sieht, wie er werden wird .. Er glaubt nämlich, die Bestimmung Gottes über uns folge unserem Bestimmen. Nämlich, nachdem Gottes Weisheit unsere künftige Beschaffenheit, das heißt: wie wir uns verhalten und bestimmen werden, gesehen hat, dann erst spricht sie das Urteil über uns ... Sollte die Bestimmung Gottes unserem Tun folgen, so wären wir aus uns selbst etwas, ehe Gott über uns bestimmte - das ist Torheit!"

Manfred Herold

Manfred Herold