Phasen der Abhängigkeit von Gott

Der Begriff „Abhängigkeit“ ist in unseren Tagen eindeutig negativ besetzt. Menschen möchten frei sein. Abhängigkeiten werden ans Licht gezerrt, bewusst gemacht und verdammt. Jede Unabhängigkeitsbewegung findet schnell Anhänger und Unterstützer.

Aber kann der Mensch seine Abhängigkeiten tatsächlich allein überwinden und ablegen? Das scheint nicht so leicht zu sein, wie sich manche Liberale das vorstellen. Gehört Abhängigkeit am Ende doch ganz natürlich zu unserem Menschsein? Kann sie unter gewissen Umständen sogar als Glück empfunden werden?

Wir wollen darüber nachdenken und Gottes Wort zu diesem Thema befragen.

1. Abhängigkeit als fragloses Glück erleben.

Abhängigkeit ist die Grundbefindlichkeit von Kleinkindern.

Babys kommen als „Glaubensbündel“ auf die Welt. Sie sind ihrer Umwelt absolut ausgeliefert, vollständig abhängig, unfähig, sich selbst zu versorgen oder zu schützen. Und wenn wir die Babys fragen könnten, ob sie damit einverstanden sind oder ob sie lieber einen Änderungsvorschlag zu machen hätten, - sie wären ganz glücklich und zufrieden.

Sie wurden von Gott mit einem Urvertrauen ausgestattet, das ihnen hilft, gut mit dieser Grundbefindlichkeit zu leben.

Dieses Bild nahm Jesus in Matthäus 18,3 auf: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr keinesfalls in das Reich der Himmel hineinkommen.“ Junge Christen sind bezüglich ihres neuen Lebens aus Gott, mit solchen Babys zu vergleichen. Man muss es ihnen nicht groß erklären: Mit allem wenden sie sich ganz instinktiv an Jesus und finden bei ihm Hilfe, Trost und Schutz.

Abhängigkeit schafft die Grundorientierung für Kleinkinder.

Durch die Abhängigkeit gewinnen Babys und Kleinkinder die nötige Grundorientierung. Wenn sie Schmerzen haben, schreien sie nach der Mutti. Wenn sie Angst haben grabbeln oder später laufen sie zu Mutti/Papa. Schutz suchen sie bei Mutti/Papa. Spielsachen reparieren, ist Papas Angelegenheit. Wenn der Hunger kommt, rufen sie nach Mama! Auch die Erziehung wird, wenn auch nicht immer erfreut, angenommen, weil die Liebe der Eltern das Verhältnis zu ihrem Kind bestimmt. Keine normalen Eltern werden die Abhängigkeit des Kleinkindes zu ihren Gunsten ausnutzen, sondern zu Gunsten des Kindes handhaben. Hierzu sagte Jesus in Matthäus 7,11: „Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird euer Vater, der in den Himmeln ist, Gutes geben denen, die ihn bitten!“

Auch für junge Christen ist diese Grundorientierung nötig. Mit allem dürfen sie fraglos zu Jesus kommen und er sorgt für sie. Er kümmert sich scheinbar ganz allein um sie. Ihre Verbindung zu Jesus scheint die intensivste der Welt zu sein. Es ist einfach herrlich!

Abhängigkeit wird in dieser Phase fraglos bejaht.

Das Angewiesensein auf Jesus ist für junge Christen keine Last und keine Bürde, sondern normal und erfreulich. Auf die angebotene Liebe Jesu antworten sie im wahrsten Sinne des Worten naiv (= kindlich, einfältig, treuherzig) mit Vertrauen und Gehorsam. In dieser Kleinkinderphase des christlichen Glaubens stehen die Gefühle stark im Vordergrund.

Als junger Christ las ich besonders gern Johannes 15,4-5: „Bleibt in mir und ich in euch! Wie die Rebe nicht von sich selbst Frucht bringen kann, sie bleibe denn am Weinstock, so auch ihr nicht, ihr bleibt denn in mir. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun.“

Ich war dankbar für diese Einladung Jesu und völlig überzeugt, dass das funktionieren würde. Mein Vertrauen zu Jesus war so groß, dass diese Verheißung mir in vielen schweren Situationen Mut zum Durchhalten gab.

Kennst du bereits diese Zugehörigkeit zu Jesus? Willst du nicht auch dein Leben IHM anvertrauen? Bei IHM ist Frieden und Geborgenheit zu finden, Vergebung der Sünden und ein gutes Gewissen! Du bist eingeladen!

2. Abhängigkeit als bitteres Ärgernis erleben.

Aber junge Christen bleiben nicht jung, sie werden auf alle Fälle älter, hoffentlich auch reifer und weiser! In der natürlichen Entwicklung treten die deutlichsten Veränderungen in der Beurteilung von Abhängigkeiten in der Pubertät auf. Ich habe festgestellt, dass es auch so etwas wie eine geistliche Pubertät gibt. In dieser Zeit wird Abhängigkeit manchmal zu einem bitteren Ärgernis. Was meine ich damit?

Abhängigkeit und das eigene Können

Du hast begriffen, dass du ein ZEUGE Jesu BIST. Entweder ein guter oder ein schlechter. Du möchtest auf alle Fälle ein guter Zeuge Jesu sein. Du liest Bücher, besuchst Kurse, übst in Gruppen und in der Gemeinde. Manche hören dir gern zu, das ermutigt dich. Du wirst hier und da um einen Dienst gebeten. Du kannst etwas! - Abhängigkeit von Jesus? Ja, doch, steht ja in der Bibel, - aber lass´ mal, ich mach das schon! - Unversehens vertraust du mehr auf dich und dein Können, als auf Jesus und seinen Geist.

Du meinst, einen bestimmten KARRIEREWEG einschlagen zu sollen. Du bist dir ziemlich sicher, dass es der richtige ist. Aber wirklich vor Gott als Opfer hingelegt, hast du die Sache nicht. Auch hast du mit niemandem gesprochen, dessen zustimmenden Urteils du nicht von vornherein sicher warst. - Abhängigkeit von Jesus? Ja schon, aber ich muss doch schließlich den Weg gehen. Das kann mir doch niemand abnehmen. - Unversehens wollen wir unser Leben doch selbst lenken und schützen.

Abhängigkeit und die eigene Erfahrung

Oder du kennst deine Gaben und Fähigkeiten, bist auch bereit, sie in der MITARBEIT einzubringen, wirst aber nicht den Platz in die Mitarbeit berufen, den du gern einnehmen würdest. - Anstatt nun in der Abhängigkeit von Jesus darauf zu vertrauen, dass Gott zu seiner Zeit dich an den rechten Platz stellen wird, ziehst du dich innerlich zurück und erweckst den Eindruck, dass dir alles gleichgültig sei. - Unversehens wollen wir doch selbst die Herrn bleiben und wenn das nicht geht, sind wir beleidigt.

Vor 40 Jahren meinte ich z.B. über das Thema KINDERERZIEHUNG recht gut Bescheid zu wissen. Leider haben unsere Kinder meine ganzen wohlgeordneten Theorien durcheinander gebracht. Irgendwie lief fast alles anders, als in den Büchern geschrieben stand. Zuerst dachte ich natürlich, es seien einfach die falschen Bücher gewesen, dann erwog ich die Frage: „Sind es vielleicht die falschen Kinder?“ Doch nein! Es musste irgend etwas anderes sein!

Abhängigkeit von Jesus reduzierte sich manchmal auf den Verzweiflungsschrei: „Jesus hilf uns bitte! So kann es nicht weitergehen!“ Wie viele selbst gewählte Irrwege und selbst gemachte Sackgassen brachten mich fast zur Verzweiflung. - Unversehens verbohren wir uns so in unsere eigenen Prinzipien und Theorien, dass wir für Jesus und seinen Heiligen Geist nicht mehr zugänglich sind.

Abhängigkeit und die eigene Zerrissenheit

In diese geistliche Pubertätsphase gekommen, können wir die uns Anvertrauten nicht mehr so wirkungsvoll vor ihren eigenen Fehlern schützen, wie das früher einmal der Fall war. (Früher genügte: Tu das nicht!) Hier brechen manche Söhne und Töchter in die große weite Welt auf. (Siehe „der verlorene Sohn“ Lukas 15). Es werden Abhängigkeiten in Frage gestellt oder aufgekündigt.

In dieser Phase sieht es manchmal so aus, als brauche und wolle der geistlich Heranwachsende seine „Eltern“ gar nicht mehr. Aber er braucht sie doch! Nur in anderer Art und Weise als in der Kindheitsphase. Er braucht sie als Diskussionspartner, als Widerpart, als Orientierungspunkt, auch wenn er sich nicht immer erkennbar an ihnen orientiert. Aber es ist immer noch eine Abhängigkeit festzustellen.

In der geistlichen Pubertät hängen gebliebene Christen vermitteln sehr oft den Eindruck einer großen inneren Zerrissenheit. Auf der einen Seite sehnen sie sich nach dem naiven Glauben, den sie am Anfang ihrer Jesusnachfolge hatten zurück, auf der anderen Seite können und wollen sie die Fragen, welche sie bewegen, nicht leugnen. In dieser Phase dominiert in der Regel der Verstand.

Manche Christen versuchen, aus Angst vor dem geistlichen Erwachsen werden, sich einen falsch verstandenen „kindlichen“ Glauben zu erhalten, indem sie sich weigern, bestimmte Fragen zuzulassen. Sie wollen z.B. immer weiter aus denselben Gefühlen leben, wie sie es aus ihren geistlichen Kleinkindertagen kannten.

Als „geschulter“ Christ las ich Johannes 15,4-5 mit anderen Augen. Es war noch derselbe Text. Aber ich war ein anderer geworden. Ich hatte auf einmal Fragen („Wie geht das: Bleibt in mir?“ - „Kann ich etwas dazu tun und wenn ja, was?“), die ich am Anfang nicht hatte. Sollte ich mich dafür entschuldigen? Ich war immer noch dankbar für die Einladung Jesu, aber mittlerweile hatte ich manchmal leise Zweifel, ob das wirklich funktionieren würde. Mein Vertrauen zu Jesus war vorhanden, aber meine Fragen ließen mich nicht los. War ich deshalb jetzt nicht mehr so „gläubig“ wie früher? - Nein, durch die Wirkung des Heiligen Geistes wuchs ein anderer Glaube in mir! Ein Glaube, der mit Fragen umgehen und notfalls leben konnte.

3. Abhängigkeit als bewusste Entscheidung erleben.

Wir müssen feststellen: Die Liebe zu Gott zeigt sich in den verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich. Wir sprechen hier von der Abhängigkeit als einem besonderen Ausdruck der Liebe. Beim Kleinkind sieht sie anders aus, als beim Heranwachsenden und beim Erwachsenen. Nur die Liebe, d.h. nur die Abhängigkeit ist gesund, die der entsprechenden Lebens- und Reifephase entspricht, in der ich mich befinde. Manche Christen möchten zwar geistlich erwachsen sein, aber immer noch wie ein Kleinkind leben und abhängig sein. Meint ihr, dass das dem himmlischen Vater gefällt?

Abhängigkeit in neuer Qualität

Biblisch gesprochen: Nur wer die Krise von Römer 7, d.h. das völlige Zuschandenwerden an allem eigenen, frommen, guten Bemühen, durchgemacht hat, kann zu einem Leben Gott gemäßer Abhängigkeit, d.h. zu einem Leben im Geist durchdringen.

„Ich will zwar immer wieder Gutes tun und tue doch das Schlechte; ich verabscheue das Böse, aber ich tue es dennoch. Wenn ich also immer wieder gegen meine Absicht handle, dann ist klar, dass es die Sünde in mir ist, die mich zu allem Bösen verführt. .. Dieser Widerspruch zwischen meiner richtigen Einsicht und meinem falschen Handeln beweist, dass ich ein Gefangener der Sünde bin. .. Ich unglückseliger Mensch! Wer wird mich jemals aus dieser Gefangenschaft befreien? Gott sei Dank! Durch unseren Herrn Jesus Christus sind wir bereits befreit.“ (Römer 7,19-20,23+25)

Es kommt zu einer neuen Qualität von Abhängigkeit. Ich bin sowohl fertig mit der naiven Auffassung: „Glauben geht von alleine! Das ist ganz einfach und bleibt es auch!“ als auch mit der überheblichen Meinung „Richtig geglaubt, bekommt man das Leben schon in den Griff!“

Ich muss weder mir selbst, noch anderen etwas beweisen. Ich weiß, wer ich bin und was ich kann, sehe meine Möglichkeiten und meine Grenzen und möchte deshalb jetzt ganz bewusst in dieser Abhängigkeit von Jesus und seinem Heiligen Geist leben.

Abhängigkeit als bewusste Unterordnung unter Gott

Ich ordne mich bewusst der größeren Weisheit, Liebe und Macht Gottes unter.

  • Das tue ich aufgrund der EINSICHT: „In mir, das ist in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes....“ Darüber diskutiere ich nicht mehr. Das weiß ich jetzt, dazu stehe ich!

  • Das tue ich aufgrund seiner LIEBESZUSAGE: „ER liebt mich und wohnt in mir!“ Das halte ich fest, als den großen Schatz meines Lebens.

  • Das tue ich im VERTRAUEN: „ER wirkt in mir und durch mich, was IHM wohl gefällt!“ Das will ich IHM zutrauen. Jetzt treffe ich eine wohl überlegte, eigenständige Entscheidung für die Abhängigkeit von Jesus.

  • Das tue ich aus freiem WILLEN. „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ Es ist jetzt nicht mehr die Art von Abhängigkeit, die eben keine andere Wahl hat und deshalb gezwungenermaßen nachgibt. Sondern die Entscheidung erwuchs der klaren Erkenntnis: Es ist das beste und schönste, das entlastendste und erfreulichste für mich, mich voll und ganz von Jesus und seinem guten Geist abhängig zu machen. Ich WILL das so: Nicht mehr ICH, sondern Christus in mir kann! So werden wir Jesus immer ähnlicher. - In dieser Phase dominiert in der Regel der Wille. Hier entscheiden wir tatsächlich, wem wir dienen wollen.

Abhängigkeit als das „In-Gott-Zur-Ruhe-Kommen“

Wir lieben die Abhängigkeit vom Vater

  • NICHT, weil wir nicht anders könnten! (wie Kleinkinder)

  • NICHT, weil wir nie mehr anders möchten (Jugend)

  • SONDERN weil wir nicht mehr anders WOLLEN.

Wie Jesus! Durch unseren Willen können wir uns verantwortungsbewusst dafür entscheiden, so zu leben, wie Gott es will. Unser Wille ist wie das Steuerruder eines Schiffes, klein, unscheinbar, aber im höchsten Maße wichtig! (Brücke, Befehlszentrale = Erkenntnis, Einsicht; Ruder = Wille) Ohne eine klare Anstrengung des Willens gibt es keinen konsequenten Gehorsam und ohne Gehorsam erleben wir nichts von der verheißenen Ruhe Gottes.

Heute lese ich Johannes 15,4-5 mit anderen Augen. „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun.“ Es ist immer noch derselbe Text. Aber ich habe mich weiterentwickelt. Manche meiner Fragen wurden beantwortet, andere habe ich immer noch. Ich halte sie immer noch für wichtig, aber nicht mehr für entscheidend. Ich rechne damit, dass der Heilige Geist mich bei Jesus festhält und ER in mir wohnt. Wenn ich in schwierige Situationen komme, die mich überfordern, schicke ich „Jesus an die Tür“. Ich gehe zwar mit und spreche für ihn, aber es ist seine Sache und auf diese Art läuft es immer besser. Gewünschte Abhängigkeit wird zu dankbarem In-Empfang-nehmen der Hilfe Gottes.

Wachse weiter in Jesus! - Halte deine geistliche Pubertät aus! - Komm zurück zum Vater! - Werde geistlich erwachsen!

Manfred Herold

Manfred Herold