Lektion 41 - Gesetz und Gnade

Seit der Reformation hat der Kampf um das richtige Verständnis des Gesetzes nicht aufgehört. „Das Gesetz hat keine Bedeutung mehr“, rufen die einen. „Das Gesetz gilt nach wie vor“, sagen die anderen.

In der Bergpredigt beschreibt Jesus zuerst das Wesen eines Christen (Matthäus 5,1-16), dann zeigt er, wie das Leben des Christen aussehen soll und welche Bedeutung das Gesetz dabei hat (Matthäus 5,17ff). Die Verbindung zwischen diesen beiden Teilen und gleichzeitig der Start in den zweiten Teil macht die Aussage in 5,17: „Meint nicht dass ich gekommen sein, um das Gesetz und die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ Im Folgenden zeigt er dann, wie das Gesetz ausgelegt und verstanden werden muss. Nicht wie es die Pharisäer und wohl auch die allermeisten seiner Zeitgenossen gedeutet haben, nach dem Buchstaben, sondern er lehrt, wie das Gesetz nach dem Geist - d.h. so wie es schon immer verstanden werden sollte, - verstanden und gelebt werden sollte.

Gesetz und Gnade sind zwei gegensätzliche Wege Gottes mit den Menschen, durch die er sie erprobt. Oder wir können sie uns als zwei Bünde denken, die er mit seinem Volk geschlossen hat: „Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus ge­worden.“ (Johannes 1,17)

Wenn ein Mensch unter dem Gesetz steht, dann er­hält er, was er gerechter maßen verdient hat. Unter der Gnade wird ihm das, was er eigentlich verdient hätte, erspart, und er wird über alle Maßen reich gemacht ­und das alles ganz ohne Gegenleistung. Die beiden Prinzipien werden in Römer 4,4-5 beschrieben:

„Dem aber, der Werke tut, wird der Lohn nicht an­gerechnet nach Gnade, sondern nach Schuldigkeit. Dem dagegen, der nicht Werke tut, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet.“

Gnade und Gesetz schließen einander aus, d.h. man kann sie nicht zusammen anwenden. „Wenn aber durch Gnade, so nicht mehr aus Werken; sonst ist die Gnade nicht mehr Gnade.“ (Römer 11,6a)

Das Gesetz ist ein Bund, der auf Bedingungen be­ruht. Gott sagt: „Wenn du gehorsam bist, dann werde ich dich belohnen, doch wenn du ungehorsam bist, dann muss ich dich bestrafen.“ Die Gnade ist ein bedin­gungsloser Bund. Gott sagt: „Ich will dich ohne Gegen­leistung segnen.“

Das Gesetz sagt: „Tue etwas“, während die Gnade sagt: „Glaube etwas.“ Doch handelt es sich beim Glau­ben nicht um eine Bedingung, sondern um die einzig mögliche Reaktion des Geschöpfes auf seinen Schöpfer. Und es ist damit kein Verdienst verbunden; niemand kann stolz darauf sein, dass er an den Herrn glaubt. Es wäre schlicht und einfach Dummheit, nicht an die einzig verlässliche Person des Universums zu glauben.

Unter dem Gesetz wird Heiligung verlangt, aber dem Menschen wird keine Kraft gegeben, ein geheiligtes Leben zu führen. Unter der Gnade wird Heiligung ge­lehrt (Titus 2,11-12) und auch die notwendige Kraft ver­liehen. Jemand hat es einmal so ausgedrückt: „Das Ge­setz verlangt von jemandem Kraft, der keine hat und verurteilt ihn, wenn er sie nicht aufbringt. Die Gnade gibt demjenigen, der keine hat, die Kraft und segnet ihn, wenn er sie anwendet."

Das Gesetz bringt uns unter einen Fluch: „Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buch des Ge­setzes geschrieben ist, um es zu tun“ (Galater 3,10b). Die Gnade jedoch bringt uns unter einen Segen: Wir „werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist“ (Römer 3,24).

Unter dem Gesetz wird Eigenlob ermöglicht, doch unter der Gnade ist es ausgeschlossen. „Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen. Durch was für ein Gesetz? Der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens“ (Römer 3,27).

Unter dem Gesetz kann es keinerlei Heilsgewissheit geben, denn man kann nie wissen, wann man genug gute Werke getan hat, und ob es auch die richtigen Werke waren. Unter der Gnade dagegen hat der Gläu­bige volle Heilsgewissheit, weil es sich um ein Ge­schenk handelt, und jeder weiß, wenn er ein Geschenk erhalten hat.

Unter dem Gesetz wird die Sünde reizvoll (Römer 7,8-13); unter der Gnade wird die Sünde ekelerregend. Wenn ein sündiger Mensch unter das Gesetz gestellt wird, dann will er sofort das Verbotene tun. Das liegt nicht am Gesetz, sondern an der sündigen Natur des Menschen. Unter der Gnade wird die Sünde gehasst. Die Erinnerung daran, was unser Heiland wegen unse­rer Sünden erleiden musste, hilft dem Gläubigen, sich von der Sünde abzuwenden.

Das Gesetz bringt Sklaverei (Galater 4,1-3); die Gnade dagegen bietet ein Leben in Freiheit (Galater 5,1). Men­schen unter dem Gesetz sind Sklaven, die Menschen unter der Gnade sind Söhne und Töchter. Das Gesetz sagt: „Du sollst lieben ... „, die Gnade dagegen: „So sehr hat Gott geliebt ...“ Das Gesetz sagt: „Tue, so wirst du leben.“ Die Gna­de sagt: „Lebe, und du wirst tun.“ Das Gesetz stellt Ansprüche. Die Gnade überschüttet mit Vorrechten. Das Gesetz verurteilt die Besten. Die Gnade recht­fertigt die Schlimmsten.

Das Gesetz muss man halten. Die Gnade hält uns. Das Gesetz lässt den Menschen keine Entschuldi­gung. Die Gnade schenkt uns einen Anwalt. Unter dem Gesetz wurde der abtrünnige Sohn aus der Stadt geschleppt und gesteinigt (5. Mose 21,18-21). Unter der Gnade kann der verlorene Sohn seine Sünde bekennen und wieder in die Gemeinschaft in seines Vaters Hause aufgenommen werden (Lukas 15,21-24). Unter dem Gesetz sterben die Schafe für den Hirten. Unter der Gnade stirbt der Hirte für die Schafe (Johannes 10,11).

Die Überlegenheit der Gnade ist einmal folgendermaßen beschrieben worden: Die Gnade hält nicht nach guten Menschen Ausschau, die sie belohnen kann, weil es keine Gnade, sondern Gerechtigkeit ist, die Guten zu belohnen; sondern sie sucht nach verlorenen, schuldi­gen, sprachlosen und hilflosen Menschen, die sie erret­ten, heiligen und verherrlichen kann.

Der durch Christus Erlöste wird das Gesetz nicht sklavisch und dem Buchstaben nach halten, in der Meinung, dass er von Gott wohlwollend angesehen wird, wenn er genügend gut ist darin. Sondern er wird es in seinem Geist aus der Beziehung zum Vater und aus der Kraft des Heiligen Geistes halten. Aber er wird es halten. (Römer 113,8-10)

Es gibt keine Erlösung durch das Gesetz. Gott hat nie beabsichtigt, jemand aufgrund dieses Prinzips zu erretten. Das Gesetz hat die Aufgabe, den Menschen zu zeigen, dass sie Sünder sind. „Durch Gesetz kommt Er­kenntnis der Sünde“ (Römer 3,20b) - nicht Erkenntnis der Erlösung. Die Erlösung geschieht aus Gnade (Epheser 2,8-9). Sie ist ein unverdientes Geschenk Gottes an diejenigen, die den Herrn Jesus Christus als ihre einzige Hoffnung auf den Himmel annehmen. - Martin Luther sagte, dass man, wenn man zwischen Gesetz und Gnade richtig unterscheiden könne, Gott für diese Fähigkeit danken und sich selbst für einen fähigen Theologen halten solle.

Zusammengestellt von Manfred Herold

Manfred Herold