Lektion 62 - Aufgaben der „Wort-Belehrung“

Die „Belehrung“ durch das Wort Gottes ist nicht in erster Linie dazu da, unseren Kopf mit immer mehr Wissen anzufüllen, sondern es soll bestimmte Aufgaben erfüllen. Die Frage ist, lassen wir das Wort Gottes seine ihm von Gott zugedachte Arbeit tun? Es will uns zuerst „überfüh­ren“, dann will es uns „wiederherstellen“ und „erziehen“. Was heißt das konkret? Wie kann das heute vom „einfachen Bibelleser“ erlebt werden?

Als erste praktische Wir­kung der „Belehrung“ wird hier die „Überführung“ genannt. Das hier verwendete griechische Wort „elegmos“ wird nur an dieser Stelle im Neuen Testament ge­braucht und bedeutet „Überführung“, „Aufdeckung“ sowohl der Schuld, als auch der Wahrheit. Es soll also eine gewisse Überzeu­gung vermittelt werden, die der Lehre entspricht. Unter dem Eindruck der Lehre soll der Mensch dazu kommen, in seinem eigenen Leben alles zu erkennen, was unecht, unlauter und un­richtig, aber auch das, was echt, rein und wahr ist.

Dieses Wort kommt modernen Lesern und Hörern in unserem Zusammenhang vielleicht deplatziert und fremdartig vor. Von „Überführung“ ist heute doch meistens im Zusammenhang von aufgedeckten Vergehen oder Verbrechen die Rede. Weshalb wird hier solch ein scharfes Wort verwendet? Haben wir es nötig, „überführt“ zu werden? „Überführt“ wird doch in der Regel gegen hartnäckige Widerstände des Beschuldigten!

Nach Johannes 16,8 („Und wenn er gekommen ist, wird er die Welt Augen überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Ge­richt.“) ist dieses Überführen von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht eine der Haupt­aufgaben des Heiligen Geistes. Hierzu bedient er sich bevorzugt, wenn auch nicht ausschließlich des Wortes Gottes. Es wirkt unter der Leitung des Heiligen Geistes als „Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens“ (Hebr. 4,12). Es will aufdecken, bloßlegen, ans Licht bringen, offenbaren, enthüllen, klar­machen.

Diese Wirkung der Lehre wird heute, wie wohl zu allen Zeiten, weil sie durchaus unangenehm und schmerzhaft sein kann, wenig geschätzt, ist aber gerade deshalb umso nötiger. Denn viele Christen sind nach meiner Beobachtung in Bezug auf ihren tatsächlichen geistlichen Zustand wahre Meister an Selbsttäuschung. Jedoch nur wenn wir die Wahrheit über uns erfahren und wir dadurch die Illusionen über uns verlieren, kann für Verlorene die Rettung und für Christen die Erneuerung beginnen.

Es hat nie einen Christen gegeben, der in seinem geistlichen Leben Fort­schritte gemacht hat, ohne sich selbst immer klarer zu erkennen. Kein Christ kann geistlich über das hinauswachsen, was er von der Bibel her an sich selbst erkannt hat. Wir wer­den z.B. nicht eher die Macht der Gnade in unserem Leben erfahren, bevor wir nicht die Wahrheit über uns erkannt und bejaht haben („Wahrheit“ nicht im Sinne von dogmatischer Richtigkeit, sondern von Realität, von Offenbarung der Dinge, wie sie wirklich sind). Und weil das Erkennen der Wahrheit ein lebens­langer Prozess ist, kann man geradezu sagen: Nur in dem Maße, wie wir uns vom Geist Gottes überführen, d. h. die Wahr­heit sagen las­sen, kann uns geholfen werden.

Weil das so ist, dürfen wir diesen überführenden Aspekt des Wortes Gottes niemals unterschlagen. Auch ein momentanes Unbehagen beim Hörer muss von einem Verkündiger des Evangeliums ausgehalten werden. Dieses Unbehagen kann im wahrsten Sinne des Wortes not-wendig sein. Es zeigt dem Hörer seine Hilfsbedürftigkeit und weist ihn damit auf Chri­stus, den Retter hin. Das gehört zu unserer Aufgabe als Botschafter Christi. Denn nur wenn diejenigen, denen wir das Wort Gottes zu sagen haben, von ihrer Sünde überführt werden, werden sie begreifen, weshalb sie sich an den Retter Jesus Christus wenden sollten. Nur so kann der Geist Gottes uns nicht nur unseren unbefriedi­genden Zu­stand, sondern auch die Gerechtigkeit, welche durch den Glauben an Jesus Christus geschenkt wird, zeigen.

Wir müssen jedoch klar zwischen der Überführung des Geistes und der Anklage des Teufels unterscheiden. Der Teufel ist der Verkläger der Brüder, der Gottes Volk Tag und Nacht anklagt. Die Symptome dieser Anklage werden ein allgemeines Schuldgefühl oder ein Mangel an Frieden sein, ohne spezifischen Grund. Wenn uns der Heilige Geist überführt, werden wir uns in fast 95% der Fälle genau darüber im Klaren sein, worum es geht. Er wird seinen Finger auf einen bestimmten Bereich unseres Lebens legen, der Gott nicht gefällt.

Fragen fürs Gespräch:

  • Welcher Zusammenhang besteht zwischen der überführenden Wirkung des Wortes Gottes und meiner manchmal deutlich ausgeprägten Abneigung ihm gegenüber?

  • Weshalb ist mir die Eindeutigkeit des Wortes Gottes in manchen Situationen peinlich?

Ansatzpunkte fürs Gebet:

  • Wir bitten den Vater darum, dass wir Mitarbeiter selbst mutig den Geist Gottes sein überführendes Werk durch das Wort Gottes an uns tun lassen.

  • Wir wollen ehrlich und offen unsere Sünden bekennen und uns selbst zur Erneuerung anspornen lassen.

Das Überführen geschieht also in der positiven Ab­sicht, den Menschen zum Be­kenntnis seiner Sünde vor Gott zu veran­lassen und ihn so der Verge­bung Gottes zu vergewissern. Das ist dann schon der erste Schritt zur „Wiederherstellung“. Auch das griechische Wort „epanorosis“ kommt nur hier im Neuen Testament vor und be­deutet soviel wie „Wiederherstellung“, „Besserung“, „Zurecht­weisung“, „Wiederaufrichtung“, „jemanden, der den rechten Weg ver­lassen hat, wie­der auf diesen zurückzuführen“.

Durch die überführende Wirkung des verkündigten Wortes hat der Leser/Hörer die falsche Richtung, den fal­schen Weg als solchen erkannt und Halt gemacht. Nun kommt dasselbe Wort Gottes und richtet ihn in seiner Traurigkeit und sei­nem Kummer, in die er durch die Erkenntnis seiner Sünde geraten ist, wieder auf. Hier ist deutlich zu erkennen, dass das Wort Gottes seine wieder aufrichtende Wirkung erst dann erweisen kann, wenn die überführende Wirkung vorausgegangen ist.

Genau dasselbe wird uns in Jak. 5,19-20 gesagt: „Meine Brüder, wenn jemand unter euch von der Wahrheit abirrt und jemand ihn zurückführt, so wisst, dass der, welcher einen Sünder von der Verirrung seines Weges zurückführt, dessen Seele vom Tode erretten und eine Menge von Sünden bedecken wird.“ Indem wir das rechte Wort zur rechten Zeit sagen, sollen und können wir jemanden „retten“. Paulus schreibt: „Brüder, wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt wird, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen im Geist der Sanftmut wieder zurecht. Und dabei gib auf dich selbst acht, dass nicht auch du versucht wirst!“ (Gal. 6,1) Wo sind in unseren Gemeinden die „Geistlichen“, d.h. die Menschen, die sich in ihrem Leben vom Heiligen Geist bestimmen lassen, die in ihrer Jesusbeziehung gewachsen und reif geworden sind, die ihren Platz in der Gemeinde gefunden und eingenommen haben, und die dann in der Gemeinde anwesend sind und sich aktiv einbringen? Es geht hier nicht um „perfekte Heilige“, sondern um Menschen die sich stets und ständig auf die Hilfe des Heiligen Geist angewiesen wissen und dankbar seine Anregungen aufnehmen und sie dort anbringen, wo es nötig ist.

Geistliche Menschen sind solche, die mit den Sünden anderer jesusgemäß umzugehen gelernt haben. Die sie also weder verharmlosen, noch dramatisieren, weder ausplaudern, noch sich darüber aufregen, - sondern die sie bei Jesus abgeben, der sie bereits alle gesühnt hat. Solche Christen können anderen zurechthelfen, indem sie z.B. darauf hinweisen, dass Sünden nicht verschwiegen werden dürfen (Spr.28,13), denn sie lösen sich nicht irgendwann einmal in Luft auf, sondern sie verlieren nur dann ihre zwingende Macht über uns, wenn sie als solche erkannt und vor Jesus bekannt werden (1.Joh.1,9).

Jesus gibt uns im Evangelium ganz eindeutige Hinweise, wie solch ein Zurechtbringen praktisch aussehen könnte: „Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein! Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.“ (Mt. 18,15) Im Matthäusevangelium wird nicht davon gesprochen, dass der in Frage stehende Bruder oder die Schwester dir etwas getan haben muss, sondern es wird allgemein festgestellt, dass du Sünde im Leben deines Bruders/Schwester bemerkst. Hier steht nichts von Detektiv spielen, nachforschen, das Haar in der Suppe suchen und dann auch finden. Es wird nur festgestellt: „Wenn aber dein Bruder/Schwester sündigt....“

Nun stellen sich natürlich Fragen wie: „Für wie gefährlich hältst du die Sünde?“ „Machst du noch Unterschiede zwischen schlimmen und weniger schlimmen Sünden?“ „Wie kommst du darauf, dass es diese Unterschiede gibt?“ Nur wenn du die Sünde so ernst beurteilst wie Gott selbst, wirst du die Unannehmlichkeiten solcher Gespräche auf dich nehmen. Weil Jesus den wahren Charakter der Sünde als Majestätsbeleidigung Gottes kannte, nahm er die Unannehmlichkeiten seiner Menschwerdung, seines Leidens und Sterbens auf sich. Wir können alle von der Wahrheit abirren. Deshalb müssen wir uns darauf verlassen können, dass sich kein Gemeindeglied achselzuckend abwendet, wenn er das bei uns sieht oder hört. Wir haben den Auftrag und die Möglichkeit, einander auf den rechten Weg zurückzuführen. Hier wird klar ausgesprochen, was dranhängen könnte: „Eine Seele vom Tode zu retten!“ Wir sind alle äußerst gefährdet. Bleiben wir deshalb wachsam!

Wir sehen, es kommt bei der Anwendung des Wortes Gottes vor al­lem auf die Ausgewogenheit der drei Aspekte untereinander an. So ist meines Er­achtens jede Verkündigung, die nur den überführenden, richtenden Aspekt betont und den Gerichteten dann am Boden liegen lässt ohne ihn wieder­aufzurichten, genauso abzulehnen, wie eine Predigt, die nur trö­sten, aufrichten, Mut zusprechen will, oh­ne vorher das überführende Wort gesagt zu haben. Denn erst der Mensch, der sich verurteilt weiß, sehnt sich nach Gnade.

Einige Beispiele: Wir finden dieses Muster deutlich in der Ver­kündigung Jesu und seiner Apostel:

Johannes 3,3-6=Belehrung - Johannes 3,7-12=Überführung - Johannes 3,14-16=Wiederherstellung.

Johannes 4,1-15=Belehrung - Johannes 4,16-19=Überführung - Johannes 4,26=Wiederherstellung.

Apostelgeschichte 9,4-5=Belehrung und Überführung - Apostelgeschichte 9,17=Wiederherstellung.

Offenbarung 2,1-3=Belehrung - Offenbarung 2,4=Überführung - Offenbarung 2,5-7=Wiederherstellung.

Fragen fürs Gespräch:

  • In welchem Verhältnis stehen unsere missionarischen Bemühungen zu den Anstrengungen um die Zurückführung an den Gemeinderand geratener Geschwister?

  • Lieben wir Jesus wirklich, wenn wir nicht ernsthaft und liebevoll in Sünde geratenen Geschwistern nachgehen, um sie zu Jesus und seiner Gemeinde zurück zu führen?

Ansatzpunkte fürs Gebet:

  • Wir bitten den Vater darum, dass er einen neuen Hunger nach seinem Wort in unseren Gemeinden und unserem Land aufbrechen lässt.

  • Wir bitten den Vater darum, dass der Heilige Geist uns die Sünde in ihrer ganzen Abscheulichkeit deutlich machen kann, damit wir uns von ihr distanzieren.

Die Zurückführung, Wiederaufrichtung, Heilung ist aber immer nur ein An­fang, vielleicht ein Neuanfang. Ihm muss nun das Wachstum im Neuen Leben folgen. Dazu gibt Gott sein erziehendes Wort.

Erziehung in der Gerechtigkeit

Das griechische Wort „paideia“, von dem das Wort „Pädagogik“ abgeleitet wird, wäre heute mit dem Wort „Trai­ning“ gut wiedergegeben. Es beinhaltet die Vorstellung, jemanden in Kondition zu bringen (2.Tim.2,22; Titus 2,11-14). Die Gnade Gottes, d.h. sein freundliches Schenken will uns Durchhaltevermögen geben, seine unverdienten Gaben wollen uns zunehmend dienstbereiter machen! Also nicht strenge Regeln und Forderungen brechen alte Gewohnheiten, nicht gesteigerte Anstrengungen, welche mit eigener Disziplin und Willensstärke rechnen, sondern gedul­diges „Training“ des in der Wahrnehmung eigener Schwachheit erbetenen und empfangenen Gnadengeschenkes Gottes bewirkt die für uns so wichtigen Veränderungen.

„Paideia“ hat die Formung des Menschen nach außen und nach innen zum Gegenstand. Das Wort soll so gelehrt werden, dass es uns auf die Ver­vollkommnung hin „trainiert“, aber wie gesagt: Es will uns nicht durch Gesetze, Vorschriften und Regeln vorantreiben, sondern indem wir es lernen, uns durch die freie Gnade das schenken zu lassen, was wir aus uns heraus nicht schaffen können. Das meint „Erziehung in der Gerech­tigkeit“: In das Ebenbild Jesu umgestaltet zu werden. Ihm ähnlich zu werden, sollte das Ziel jedes Christen sein.

Die dritte praktische Folge der Belehrung soll also die „Erziehung in der Gerech­tigkeit“ sein. Damit der Mensch auf seinem Weg der Christus­nachfolge nicht immer wieder irrt und fällt, wird ihm das Wort zur Erziehung, zur Un­terweisung gegeben. Er soll nach dem Bild Christi geformt werden. So heißt es auch in 2.Tim.3,17: „Damit der Gottes­mensch vollkommen sei, zu jedem guten Werk voll ausgerüstet.“

Das Wort Gottes in seinen drei aufeinander bezogenen Aspekten an­gewendet, erweist seine Vollmacht und Nützlichkeit darin, dass es den Menschen, so wie Gott ihn möchte, hervorbringt. Die Verse 16 + 17 dringen auf ein gelebtes Christentum, das nicht in heißen Debatten und gelehrten Wortstreitereien seinen Ausdruck findet, sondern in einer nüchternen und geduldigen Arbeit an sich selbst und einem entschlossenen Liebesdienst an den Menschen, die Jesus (noch) nicht kennen.

Ein Beispiel zum Schluss:

Als Demonstrationsobjekt soll uns der Abschnitt in 1.Thes.4,13-18 dienen.

In Vers 13 bietet Paulus die „Belehrung“: „Wir wollen euch aber, Brüder, nicht in Unkenntnis lassen über die Entschlafenen...“ - Es soll eine Unwissenheit beseitigt werden.

Ebenfalls noch in Vers 13 folgt die „Überführung“: „Damit damit ihr nicht betrübt seid wie die übrigen, die keine Hoffnung haben.“ - Diese Aussage be­wirkt, so tröstlich sie auch ist, zunächst doch eine Überführung, weil sie zeigt, wie unnötig und falsch die Traurigkeit vieler Christen angesichts dieser Hoffnung ist.

In Vers 18 heißt es: „So ermuntert nun einander mit diesen Worten!“ - Hier geschieht „Wiederaufrichtung“, „Wiederherstellung“.

In Kapitel 5,6 wird klargemacht, welchen „erzieherischen Wert“ diese Worte haben sollen; was der Brief des Paulus an die Thessalonicher bewirken sollte: „Also lasst uns nun nicht schlafen wie die übrigen, sondern wachen und nüchtern sein!“ - Paulus wollte die Thessalonicher dazu motivieren, auf die Wiederkunft ihres Herrn ausge­richtet zu leben, indem sie das ihnen verkündigte Wort ernst nehmen.

Ansatzpunkte fürs Gebet:

      • Wir bitten darum, dass alle Kinder Gottes dem erzieherischen Handeln ihres Vaters im Himmel geduldig still halten und nicht aus der Schule laufen.

      • Wir wollen dem Vater dafür danken, dass er unbeirrt seine großen Ziele verfolgt und dass er sie auch mit uns erreichen wird.

Warum sind so wenige Christen „zu jedem guten Werk voll ausgerüstet?“ Da in den behandelten Versen ein solch ursächlicher Zusammen­hang zwischen der Anwendung des dreifachen Nutzens des Wortes Gottes und dem Erreichen des voll ausgerüsteten Christenmenschen hergestellt wird, kann aus dem Mangel an voll „ausgerüsteten Christen“ nur auf eine ungenügende oder falsche Anwendung des Wortes Gottes geschlossen werden.

Alle drei Aspekte des Wortes Gottes müssen beim Umgang mit der Bibel berücksichtigt werden, soll das Wort eine Christus ver­herrlichende Wirkung erzielen. Auf welchen der drei Aspekte im Einzelfall der größere Nachdruck gelegt werden muss, kann nur unter der Leitung des Heiligen Geistes entschieden werden.

Manfred Herold



Manfred Herold