Christ und Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit ist gegenwärtig eines der drängendsten Probleme in unserem Land. In allen Nachrichten- und Magazinsendungen geht es darum und manch einer von Euch wird sich vielleicht fragen: „Warum in aller Welt jetzt auch noch eine Predigt über Arbeitslosigkeit? Hat man noch nicht einmal in der Kirche seine Ruhe davor?“

Hier muss einmal ganz deutlich gesagt werden: Solcher Art Ruhe und Frieden kennt die Bibel nicht! Einen Frieden, der daraus resultiert, dass man wegsieht, verdrängt, sich über bestehende Probleme einfach keine ­Gedanken macht, lehnt die Bibel ab. Christen gewinnen ihre Gelassenheit nicht aus der Tatsache, dass sie ihre Köpfe in den Sand stecken! Wir haben uns möglichst gut zu informieren, d.h. dass wir sowohl unsere Umwelt mit ihren Fragen und Problemen, als auch Gottes Wort mit seinen Analysen und Antworten kennen sollten!

Dabei stellte sich mir die Frage: „Ist die Arbeitslosigkeit nur ein sozial- oder wirtschaftspolitisches Thema, oder ist sie auch ein geistliches Problemthema?“ Die Antwort kann m.E. nur lauten: Sie ist auch ein geistliches Problem und deshalb spreche ich heute darüber.

1. Arbeitslosigkeit - wie ist sie biblisch zu bewerten?

Die Bedeutung der Arbeit und die Folgen der Arbeitslosigkeit.

Die Bedeutung, welche der Arbeit im menschlichen Leben heute zukommt, ist unter anderem an der weit verbreiteten Gewohnheit abzulesen, den Namen einer Person mit ihrem Beruf zu verbinden oder sogar ganz auf den Namen zu verzichten und den Menschen nur noch mit seinem Beruf zu benennen. („Das ist unser Elektriker“, „­unser Briefträger“, „mein Chef“) Hier wird der Mensch von seiner beruflichen Tätigkeit her definiert. Dabei ist man sich viel zu wenig bewusst, dass dies

      • dem ganzen Menschen in keiner Weise gerecht wird.

      • Klischees und Vorurteile befestigt und fördert (die Handwerker, die Lehrer, die Beamten, die Pastoren) und

      • dass solch eine Redeweise unberechtigten gesellschaftlichen Qualifizierungen Vorschub leistet. (Der Elektriker, der Maurer, der Schreiner.. - der Herr Doktor, der Herr Lehrer, der Herr Pastor..) Jakobus 2,1f

Wer das aufmerksam registriert und darüber hinaus erkannt hat, dass die Arbeit in Gottes Plan für die Menschen einen zentralen Platz einnimmt, wird sofort begreifen, ein wie schwerer Angriff auf die Menschlichkeit und Menschenwürde das Problem der Arbeitslosigkeit darstellt. Denn in dem Maße,

      • wie er von seinem Beruf her definiert wurde,

      • wie er in ihm überwiegend seine Anerkennung fand,

      • wie er sich selbst mit seinem Beruf identifizierte

      • und sich gegen Gottes guten Willen vollständig von ihm ausfüllen ließ,

wird er sich als Arbeitsloser geradezu als UNPERSON vorkommen. - Die Berufstätigen möchte ich fragen: Welchen Stellenwert hat dein Beruf für dein Selbstwertgefühl? - Den Arbeitslosen möchte ich sagen: Du bist Gott unendlich wertvoll! Und ER ist dein Verbündeter bei deiner Arbeitssuche! Beziehe ihn bewusst mit ein!

Arbeitslosigkeit hindert den Menschen daran, seiner Berufung nachzukommen.

Arbeitslosigkeit hindert den Menschen, seine erlernten und schöpferischen Fähigkeiten

      • zum Besten seiner Angehörigen,

      • zum Nutzen der Gesellschaft und

      • zur Ehre Gottes einzubringen.

Arbeitslosigkeit ist also auch deshalb ein Problem, weil es die Ehre und das Ansehen Gottes schmälert. Arbeitslosigkeit muss also nicht nur um der Menschen, sondern auch um Gottes willen abgebaut werden. Es müssen dringend mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, damit Gott durch mehr gute Arbeit geehrt werden kann. - Wenn wir, soweit wir daran mitwirken können, in solch einer Weise nach dem Reich Gottes trachten, wird uns das für die Menschen Nötige (Arbeit, Auskommen, Befriedigung) obendrein gegeben werden (Matthäus 6,33).

2. Arbeitslosigkeit - was sollten wir darüber wissen?

Der Unterschied zwischen „Beruf“ und „Arbeit“.

Zuerst sollten wir den Unterschied zwischen dem (bezahlten) „Beruf“ und „Arbeit“ kennen. Jeder Beruf ist zwar auch eine Arbeit, denn fürs Nichtstun wird man nicht bezahlt, aber nicht jede Arbeit ist in diesem Sinne ein Beruf. Denn man kann sowohl unentgeltlich arbeiten, als auch in die Situation kommen, außerhalb seines „gelernten Berufs“ ­eine Arbeit übernehmen zu müssen.

Menschen werden auf Dauer nicht so sehr durch das Fehlen eines bezahlten Berufes, als durch den Mangel an sinnvoller Arbeit demoralisiert: Sie haben keine Möglichkeit, ihre Kraft und Fähigkeit schöpferisch und im Dienst an der Gesellschaft einzusetzen.­ Natürlich ist ein gesicherter Lohn wichtig, aber Untersuchungen haben gezeigt, wenn es darum geht, einem Menschen seine Selbstachtung wiederzugeben, ist sinnvolle Arbeit wichtiger als der Lohn, denn schöpferische Arbeit bleibt auch dann sinnvoll, wenn sie unentgeltlich verrichtet wird.

Arbeitslosigkeit - ein Trauma in 3 Phasen

Darüber hinaus sollten wir wissen: In Menschen, die zu einer „überflüssigen Arbeitskraft“ erklärt werden, laufen Vorgänge ab, die wir kennen sollten, um ihnen hilfreiche Freunde und verständnisvolle Partner sein zu können. Arbeitslosigkeit ist für viele eine schmerzliche persönliche und soziale Tragödie.

Industriepsychologen haben die Arbeitslosigkeit mit der Trauer verglichen, die durch einen Todesfall entsteht. Der Verlust einer Arbeitsstelle ähnelt in gewisser Hinsicht dem Verlust eines Freundes oder eines Verwandten. Das Trauma durchläuft 3 Phasen

    • Der Schock - Der Betroffene fühlt sich erniedrigt, entwürdigt, ist leichter gereizt. Es kann in der Familie zu Spannungen und Konflikten kommen; aber in dieser Phase ist er noch optimistisch, was die Zukunft anbelangt.

    • Die Niedergeschlagenheit - Wenn die Arbeitslosigkeit länger andauert, die Ersparnisse aufgebraucht sind, kaum Aussicht auf Änderung besteht, verfallen viele in Trägheit und pessimistische Niedergeschlagenheit.

    • Die Gleichgültigkeit - Ist seine Arbeitssuche noch immer erfolglos und muss der Betreffende eine Enttäuschung nach der anderen hinnehmen, tritt eine resignierende Gleichgültigkeit auf. Seine Kampfbereitschaft lässt nach, seine Hoffnung schwindet. Er wird bitter und demoralisiert.

Besonders für die Angehörigen von Arbeitslosen ist es wichtig, dass sie eine Ahnung von den schwerwiegenden Folgen der Arbeitslosigkeit haben und sich entsprechend einfühlsam verhalten können. Auch für die seelsorgerliche Begegnung ist die Kenntnis dieser Fakten eine wichtige Voraussetzung für eine gute Beratung. („Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige errette. Ich tue aber alles um des Evangeliums willen, um an ihm Anteil zu bekommen.“ 1. Korinther 9,22-23)

3. Arbeitslosigkeit - was könnten wir tun?

Vorsicht - Echtheit ist gefragt.

Die Erwerbslosen haben keine eigene Gewerkschaft, die ihre Belange vertritt. Sollten sich da, angesichts der geschilderten materiellen, sozialen und geistlichen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit, nicht gerade die Christen gezielt zum Mund dieser Stummen­ machen („Öffne deinen Mund für den Stummen, für den Rechtsanspruch aller Schwachen!“ Sprüche 31,8) Damit dies aber geschehen kann, ist e­s notwendig, dass viele von uns ihre Einstellung gegenüber den Arbeitslosen überprüfen und gegebenenfalls ändern. Hier muss bei vielen von uns ein Gesinnungswandel eintreten, die Bibel nennt das „Buße tun“.

Besonders diejenigen Christen, welche von Kind an die Werte der sogenannten „protestantischen Arbeitsethik“ wie Fleiß, Pflichterfüllung, Ehrlichkeit, Sparsamkeit, Verantwortungsbewusstsein eingeprägt bekommen haben, stehen in der Gefahr, die Verlierer im harten Überlebenskampf, als wären diese irgendwie doch selbst daran schuld, zu verachten (1. Korinther 4,5).

Selbstverständlich gibt es auch arbeitsscheue Zeitgenossen, aber die übergroße Mehrheit der Arbeitslosen will arbeiten, findet aber keine geeignete Arbeitsstelle. Ihnen sollten Christen mitfühlend und helfend begegnen („Lasst uns also nun, wie wir Gelegenheit haben, allen gegenüber das Gute wirken, am meisten aber gegenüber den Hausgenossen des Glaubens!“ Galater 6,10). Frommes, oberflächliches Ermuntern oder Vertrösten sind da oft nur Ausdruck von ­Gedankenlosigkeit und schaden mehr, als dass sie nutzen.

Praktisch könnte im Einzelfall vielleicht so weitergeholfen werden:

  • Christen sollten die Arbeitslosen ihrer Umgebung und deren Berufe kennen und für sie um Arbeit beten (1. Timotheus 2,1).

  • Christen sollten ihre Augen und Ohren aufsperren, ob irgendwo eine entsprechende Arbeitsstelle frei ist und sich auch vor vermittelnden Gesprächen nicht scheuen (Kolosser 3,23).

  • Hinweise auf Umschulungsprogramme und Maßnahmen des Arbeitsamtes geben, Fortbildungskurse (evtl. in der Gemeinde) ­anbieten, intensive verantwortliche Beratung auf Grund persönlicher Kenntnis der­ Situation, „Traumberufe“ bleiben oft ein Traum.

  • Selbsthilfegruppen oder Kooperativen bilden, Gründung von Kleinbetrieben, Ausbildungswerkstätten (siehe Modelle Reutlingen und Bayreuth), Vermittlung von Arbeitspraxis für junge Menschen.

  • Alle „Doppelverdiener“ sollten sich fragen, ob in ihrem Fall nicht das Eingehen auf das Wort Jesu: „Wer zwei hat, gebe dem, der keines hat!“ (Lukas 3,11) ein deutliches Zeichen der Gottesliebe sein könnte.

  • Die Einrichtung einer „Lübecker-Tafel-Essensausgabe“ in der Gemeinde. Wer würde sich dafür einmal in der Woche zur Verfügung stellen?

  • Strikte Absage an alle, über spontane geschwisterliche Hilfeleistung hinausgehende Schwarzarbeit, welche die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindert (Epheser 5,9-12).

  • Soweit möglich, Überstunden ablehnen und nicht um jeden Preis deneigenen Profit weiter steigern wollen.

  • In den betrieblichen Arbeitnehmervertretungen mitarbeiten und da von der biblischen Sicht her mit-votieren.

  • Christen sollten Erwerbslose ermutigen: Der Mensch ist vor Gott immer mehr wert als seine Leistung! Kein Mensch ist „überflüssig“. Da Gott will, dass jeder Arbeitsfähige arbeitet, ist das eine Verheißung, dass er auch für einen Arbeitsplatz sorgen will und wird.

  • Last, not least: Christen sollten Arbeitslosen das Evangelium von Jesus Christus bringen, das ihnen eine Korrektur ihrer Wirklichkeitssicht schenkt und ein neues Selbstwertgefühl vermittelt, das nicht an beruflicher Arbeit festgemacht ist. Jesus schenkt eine Lebensqualität, die nicht von beruflicher Leistung und irdischen Gütern, sondern von seiner Liebe abhängig ist.

Ich wende mich mit diesen Ausführen bewusst gegen eine falsche christliche, introvertierte Ethik, der es nicht um die Besserung sozialer Notstände zu tun ist, weil sie zu einseitig nur die himmlischen und geistlichen Dinge im Auge hat.

Christen gewinnen ihren Frieden nicht aus der Tatsache, dass sie ihre Köpfe in den Sand stecken, oder auf den Himmel warten, sondern dass sie im Vertrauen und Gehorsam Jesus gegenüber, das ihnen Mögliche tun, damit Gottes Wille geschieht!

So wird derjenige, der die tiefgreifenden Schäden, welche die Arbeitslosigkeit bei den Betroffenen anrichtet, erkannt hat, sich nach Maßgabe seiner Möglichkeiten herausgefordert sehen, aus dem Glaubensgehorsam und aus Liebe zu Gott und seinem Nächsten heraus, zu helfen.

Manfred Herold

Manfred Herold