Das „Kreuz“ in der Nachfolge

Den größten Bedeutungswandel und gleichzeitig den größten Bedeutungsverlust in der Geschichte der christlichen Kirche hat wohl das KREUZ durchgemacht. In dem Maße wie es heute das geachtete Zeichen großer und mächtiger Institutionen ist, war es ursprünglich das verachtungswürdige Zeichen eines Ausgestoßenen. Heute wird es als Schmuck angesehen, als Orden und Ehrenzeichen verwendet, damals war es genau das Gegenteil.

Aber auch viele, die mit Ernst Christen sein wollen, können mit dem Kreuz nicht mehr viel anfangen, ja oft missverstehen sie die Aufgabe des Kreuzes völlig. In Matthäus 16,24-25 sagt Jesus: „Wenn jemand Mein Jünger sein will, muss er sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen, dann wird er Mein Nachfolger sein. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um Meinetwillen verliert, wird es finden.“

Wozu wollte und will Jesus denn mit diesen Worten auffordern? - Zu schicksalhafter Ergebung in Unausweichliches? Zu heroischem Ertragen überschwerer Lasten? In diesen Richtungen meinte ich ebenfalls lange Zeit die Erklärung dieser Verse zu finden. Heute sehe ich das anders.

1. Das Kreuz wird um Jesu willen aufgenommen.

Bei Jesus gibt es keine Zwangsverpflichtungen. Er will nur Freiwillige. Wenn du dich Ihm jedoch einmal hingegeben hast, dann nimmt Er dies ganz ernst, dann hast du deine Entscheidungsfreiheit an Ihn abgetreten („Wenn ihr euch jemand unterstellt und bereit seid, ihm zu gehorchen, seid ihr damit seine Sklaven.“ Römer 6,16). Dir bleibt dann nur das Kreuz.

Das Kreuz ist ein Symbol des Todes. Es steht für das abrupte, gewalttätige Ende eines Menschen. Der Mensch, der zu Zeiten des Römischen Reiches sein Kreuz aufnahm und den Weg hinunter trug, hatte seinen Angehörigen und Freunden Lebewohl gesagt. Jeder wusste: Der kommt nicht zurück!

Das Kreuz ließ keine Kompromisse zu. Es war in seiner Wirkung nicht abzuschwächen. Es ließ nichts aus. Es tötete den ganzen Menschen, vollständig, ein für allemal. Es versuchte nicht, mit dem Opfer auf gutem Fuß zu stehen. Es traf grausam und hart, und wenn es seine Arbeit getan hatte, war es aus mit dem Gekreuzigten.

Was ist denn nun überhaupt dieses Kreuz, das wir aufnehmen sollen? - Nicht jede Last, nicht jede Not, nicht jede Krankheit oder jedes Leid, die es in der Welt gibt, ist Kreuz Christi. Wohl aber jede Last, jede Krankheit, die du aus der Hand Jesu angenommen hast. Jedes Ereignis, das dich niederdrückt, mit dem du nicht fertig wirst und das du dennoch, ja gerade deshalb aus der Hand deines Gottes annimmst, ist für dich Kreuz Christi. Dabei lassen wir uns auch von der Tatsache, dass es, wie bei Jesus, in der Regel Menschen sind, welche uns diese Lasten auflegen, nicht irritieren.

Leider hat jeder Jünger heute die traurige Möglichkeit, sich seines Kreuzes zu entledigen, d.h. sich der Herrschaft Jesu zu entziehen. Durch seine Einstellung zum Kreuz entscheidet so jeder Jünger täglich selbst über den Grad seiner Verbindlichkeit in der Nachfolge. Deshalb tragen auch nicht alle Christen das Kreuz. Sie mögen fromm, gläubig, sogar ab und zu mitarbeitswillig sein, aber ohne Kreuz können sie keine Jünger Jesu sein! Man kann nicht das Kreuz als Straferlass für sich bejahen und dasselbe Kreuz unter allen Umständen aus seinem Leben fernhalten wollen. Das Kreuz macht Herzen offenbar:

Das verräterische Herz des Judas,

das selbstsichere Herz des Petrus,

das feige Herz der übrigen Jünger,

das haltlose Herz des Pilatus,

das wankelmütige Herz des Volkes,

das rohe Herz der römischen Soldaten,

das heuchlerische Herz der Pharisäer,

das liebende Herz der Frauen,

das treue Herz des Johannes,

das bußfertige Herz des Hauptmanns,

das lästernde und das reuige Herz der Schächer.

Auch wir werden an unserer Stellung zum Kreuz erkennen, was unser Herz wirklich liebt und bewegt.

Für unseren Glauben aber steht es fest: Das Kreuz ist und bleibt Gottes Mittel und Weg Segen, Heil und Rettung zu bewirken. Wenn du alles was dir begegnet und dir nicht gefällt aus der Vaterhand Gottes als Kreuz, das dich lehrt, deinen Willen und dein ganzes Selbst immer wieder Gott und Seinem guten Willen zu unterstellen, annimmst, dann verhilft dir dieses Kreuz dazu, ein rechter Jünger zu werden. Aber nur wenn du es als von Gott kommend annimmst, wirst du daran reifen, wachsen und in Jesu Bild umgestaltet werden. Wenn du das nicht tust, wirst du dich daran wundreiben, aufreiben und im dagegen Ankämpfen untergehen.

Welche konkreten VERÄNDERUNGEN würde denn eine konsequente Annahme des Kreuzes in deinem Leben mit sich bringen? In Bezug auf deine berufliche oder familiäre oder gesundheitliche oder gemeindliche Situation?

2. Das Kreuz bringt uns ans Ende unserer Möglichkeiten.

Oben sagte ich: „Uns bleibt dann nur das Kreuz!“ Ist das denn nicht schrecklich? Ist solch eine Aussage nicht eher abschreckend als anziehend? Bevor wir diese Frage beantworten können, müssten wir genauer wissen, was das Kreuztragen überhaupt bewirken soll.

In diesem Zusammenhang wird zumeist eine entscheidende Tatsache übersehen und bleibt so völlig unbeachtet: Jesus konnte Sein Kreuz gar nicht lange tragen. Er brach erschöpft darunter zusammen und Simon von Cyrene wurde gezwungen, das Kreuz nach Golgatha zu schleppen (Matthäus 27,32). Was hat uns das zu sagen?

Würde unser Herr Jesus Christus etwas von uns erwarten, was Er selbst nicht vermochte? Ich schöpfe aus der Tatsache, dass Jesus Sein Kreuz nicht lange tragen konnte, viel Hoffnung. Es ermutigt mich zu wissen, dass ich nicht der einzige bin, dem die Last, die er zu tragen hat, manchmal zu schwer wird. Jesus wusste, dass wir unser Kreuz genau so wenig tragen können, wie Er es konnte.

Hier liegt eine wichtige Wahrheit verborgen, die unsere Einstellung zu aller Not und allem Leid in unserem Leben von Grund auf ändern kann. Die eigentliche Aufgabe des Kreuzes liegt darin, dass es uns an das Ende unserer Möglichkeiten und unserer Kraft bringen soll. Die eigentliche Versuchung für uns liegt nicht darin, dass wir von Schwäche übermannt nicht mehr weiter können, sondern darin, dass wir uns anstrengen, unser Kreuz selbst wieder aufzuheben und es in eigener Kraft weitertragen zu wollen. Gott weiß jedoch, dass nicht eines Seiner Kinder in der Nachfolge Jesu sein Kreuz allein tragen kann.

Gott rettet das Individuum, indem Er es am Kreuz auslöscht und dann zu einem neuen Leben auferstehen lässt. Wenn wir zu Jesus kommen, dann bringen wir damit unser Leben nicht auf eine höhere Stufe, sondern wir lassen es am Kreuz. Das Weizenkorn muss in den Boden fallen und sterben. Dazu verhilft uns das Kreuz.

Viele Menschen bejammern ihre Schwachheit und wünschen sich Gottes Kraft für ihr Leben, damit sie angemessener gegen die Versuchung und den Feind ankämpfen könnten. Sie bitten um immer neue Erfüllungen durch den Heiligen Geist und fragen sich, warum Er sie ihnen nicht machtvoller gibt. - Er gibt sie nicht, weil das nicht die Antwort wäre, die sie brauchen. Was wir brauchen ist nicht mehr Kraft, sondern tiefere Wirkungen des Kreuzes in unserem Leben. Wir müssen noch mehr an das Ende all unserer Möglichkeiten geführt werden, um dann vorbehaltlos dem Sieg zu vertrauen, der von Jesus am Kreuz schon errungen worden ist. Nicht immer mehr Kraft gibt den Sieg über die Sünde, sondern allein das Kreuz macht in unserem Leben den Weg frei für den Sieg Jesu Christi.

Darum führt das Kreuz zur Scheidung der Geister. Ohne Kreuz gibt es keine wahre Gemeinde Christi Jesu. Wir sehen also: Das Kreuz ist ein machtvolles Mittel zu unserer nötigen Befreiung! Sollten wir es nicht dankbar willkommen heißen?

Welche konkreten VERÄNDERUNGEN würde es denn in deinem Leben mit sich bringen, wenn du das Kreuz sein Werk ungehindert tun lassen würdest. Weigere dich, dem Kreuz im entscheidenden Moment entgehen zu wollen! Was würde das für deine berufliche, familiäre, gesundheitliche oder gemeindliche Situation bedeuten? Gestatte es dem Kreuz, dein Leben zu läutern!

3. Das Kreuz ist das Tor zur Herrlichkeit.

Wozu sind denn diese Grenzerfahrungen nötig? Will Gott uns bestrafen oder quälen? Nein! Wir würden jedoch niemals die Herrlichkeit der Kraft Gottes in unserem Leben erfahren, wenn wir nicht immer wieder an das Ende unserer eigenen Möglichkeiten, Kräfte und Fähigkeiten kommen würden.

Gott will uns durch das Kreuz immer mehr in das Bild Jesu umgestalten. Nur durch das Kreuz wurde Er zum Erlöser und Heiland der Welt. Was wäre Jesus ohne das Kreuz gewesen? - Was sind wir ohne Kreuz? Alles mögliche, aber keine Menschen durch die Gott heute helfen, retten, befreien kann.

Satan möchte natürlich aus meiner Not, meinen Leiden und Problemen gern Kapital für sich schlagen und mich durch sie zerstören. Indem ich aber all das als Kreuz annehme, benutzt Gott diese Dinge, um mich reifer werden zu lassen, mich zu läutern und mich zu befähigen, brauchbarer in Seinen Händen zu werden.

Jesus sagt: „Ohne Mich könnt ihr nichts tun!“ (Johannes 15,5) Wir glauben dieses Wart oft nur sehr theoretisch und in der Praxis leben wir zumeist doch aus unseren eigenen Kraftreserven. Damit wir diese Lektion nun wirklich lernen, fordert uns Jesus auf, unser Kreuz zu nehmen und Ihm damit zu folgen. Irgendwann sind wir dann am Ende und da kann das Kreuz für uns zum Tor zur Herrlichkeit werden. Ohne das Kreuz und die Erfahrung, an das Ende aller seiner eigenen Möglichkeiten gekommen zu sein, würden wir stets bei der gestern erfahrenen Güte, Kraft und Herrlichkeit Gottes stehen bleiben.

Nur das für uns zu schwere Kreuz verhilft uns zu dem Erleben, dass wir einen haben, der stärker ist als Simon von Cyrene, der uns, gerade wenn wir am Ende sind und es eingestehen, zu Hilfe kommt. Erst wenn wir völlig schwach und am Ende, statt aufzugeben, von Christus Hilfe erbitten, werden wir sie erfahren. Nicht so, dass alle Schwachheit auf einmal wie weggeblasen ist, sondern viel häufiger so, dass wir in Schwachheit Dinge tun können, die uns sonst unmöglich waren (2. Korinther 12,9-10).

Nimm deshalb dein Kreuz getrost immer wieder auf und sei bereit, den Weg bis an das Ende zu gehen - bis an das Ende deines Eigenlebens. Jesus hat an dem was Er litt Gehorsam gelernt (Hebräer 5,8). Wir werden den Gehorsam auch nur auf dem Weg des Kreuzes lernen. Wege unterm Kreuz sind Erziehungswege für Jünger Jesu und Vorbereitungszeiten auf göttliche Herrlichkeiten, die in unserem Leben geoffenbart werden sollen.

Der Herr hat um der vor Ihm liegenden Freude willen das Kreuz erduldet (Hebräer 12,2). Wie viel weniger können wir da unser Kreuz, das zutiefst SEIN Kreuz ist, nehmen, tragen und erleiden, wenn wir nicht den Blick auf die vor uns liegende Freude gerichtet halten? Weil wir das nicht tun, deshalb findet sich in unserem Leben noch soviel ungebrochene Selbstsucht, soviel jämmerliche Leidensscheu, soviel klägliches Versagen, so viele hartnäckige Weigerung, wie ein schändlicher Verbrecher völlig entehrt zu werden. Wir haben das Kreuz nötig!

Nach Bernhard von Clairvaux ist das Kreuz „eine Last von der Art, wie es die Flügel für die Vögel sind: sie tragen sie aufwärts!“

Gib dich nicht mit der Theorie dieser Botschaft zufrieden! Wirke auf konkrete VERÄNDERUNGEN in deinem Leben hin! Wehre das Kreuz nicht ab, sonst wird es dir nicht zum Tor zur Herrlichkeit werden!

Manfred Herold

Manfred Herold