Das vierte Gebot

Achte den Sabbat als einen Tag, der mir allein geweiht ist!“ (2. Mose 20,8-11)

Von der tief empfundenen Sehnsucht nach Ruhe, Entspannung und Erholung leben heute ganze Wirtschaftszweige. Unzählige Zeitschriften und Bücher beschäftigen sich regelmäßig mit dieser Thematik.

Es ist schon paradox: Noch nie hatten wir in der westlichen Welt so viele „freie Zeit“ wie heute und zugleich gab es noch nie so viele gestresste und gehetzte Menschen. Hier wird wieder einmal deutlich: Die Gesellschaft, die meint, auf die Einhaltung der guten Gebote Gottes verzichten zu können, leidet gleichzeitig an den Folgen dieser Nichtbeachtung.

Das vierte Gebot erinnert uns daran, dass Gott der Herr unserer Zeit ist und dass er voll Liebe und Güte auf unsere wahren Bedürfnisse eingeht. Es ist das wortreichste aller 10 Gebote. Gott möchte uns offensichtlich etwas äußerst Wichtiges nahe bringen.

1. Gott (ge)-bietet, was wir brauchen.

Wir brauchen Arbeit!

Der Gott der Bibel ist ein arbeitender Gott. Und weil der Mensch nach dem Bild Gottes erschaffen wurde, deshalb gehört seit dem Paradies, wo ihm Gott die Schöpfung anvertraut hat, Arbeit elementar zu seinem Leben. Es ist demzufolge nicht die Arbeit an und für sich Folge des Sündenfalls, sondern nur ihre aufreibende Last und Mühsal, ihr häufiges Misslingen und das Missverhältnis zwischen Arbeit und Erfolg, das uns an ihn erinnert.

Das Sabbatgebot enthält, oft wird das vergessen, zuerst das Gebot der Arbeit: „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun.“ Das macht deutlich: In der Bibel kann das Gebot des Ruhens nur auf dem Hintergrund des Gebotes der Arbeit und der Stellenwert der Arbeit kann nicht ohne das Ruhegebot recht verstanden werden. Der Mensch soll arbeiten, aber seine Arbeit ist immer nur begrenzte Arbeit. Nach Gottes Ansicht darf Arbeit niemals zum Selbstzweck werden, sondern hat den ihr von Gott zugewiesenen Platz einzunehmen.

Im Neuen Testament werden Menschen, die sich zu Christus bekehren, angehalten, fleißig zu arbeiten und Gutes zu tun (Apostelgeschichte 20,35). Faulheit wird von Gott als Sünde angesehen (Sprüche 6,6; 2. Thessalonicher 3,10). Erst auf dem Hintergrund des hohen Stellenwerts der Arbeit macht das Gebot des Ruhens Sinn. Gott hat den Rhythmus von Anspannung und Entspannung, von Tun und Ruhn, von Ar­beiten und Feiern, von Säen und Ernten eingesetzt und weist uns im vierten Gebot mit Nachdruck darauf hin. Wir brauchen Arbeit – jeder stimmt dieser Forderung heute zu.

Wir brauchen Ruhe!

Als ob Gott von Anfang an gewusst hätte, wohin sich seine Men­schen entwickeln, gebietet er ihnen zu ihrem eigenen Nutzen und zu seiner Ehre mit dem vierten Gebot inne zu halten, Pausen zu machen! Hierbei geht es nicht um die Frage, ob der Sabbat oder der Sonntag gefeiert werden soll. Das ewig gültige Gebot lautet: „Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebten Tag sollst du ruhen!“ (2. Mose 34,21) Hier wird von Gott kein spezieller Wochentag, sondern lediglich ein Rhythmus festgelegt: nach 6 Arbeitstagen soll ein Ruhetag eingelegt werden.

Deshalb geht es beim Sabbatgebot auch nicht um das formale Einhalten bestimmter Regeln. Das wäre ein typisch pharisäisches Missverständnis, dem zu allen Zeiten gewisse Fromme erlegen sind und die damit Gottes Absicht mit diesem Tag in sein Gegenteil verkehrten. Man verstand den Sabbat zu lange nicht als Chance zum Aufatmen, zur Heilung und Wiederge­winnung von Kraft durch Erinnerung und Konzentration auf Gott, sondern als Möglichkeit einer frommen Leistung durch Verzicht. - Das ist der entscheidende zweite Punkt in diesem Gebot: Der Mensch lebt nicht allein von der Arbeit, sondern er braucht die Ruhe vor Gott.

2. Gott ist besorgt um uns.

Nehmen wir sein Ruheangebot an?

Nach sechs Tagen Arbeit soll es einen Tag der Ruhe geben (das hebr. Wort shabbat kommt von dem Verb „ruhen“). Wenn Gott einen Tag als Ruhetag vorgesehen hat, denken wir, wir kämen ohne ihn aus? Und indem das vierte Gebot im Alten Testament einmal von der Schöpfung her (2. Mose 20,11) und einmal vom Auszug Israels aus Ägypten her (5. Mose 5,15) begründet wird, macht Gott deutlich, dass wir diesen Tag der Erinnerung und der Pflege der Gottes‑ und der Gemeinschaftsbeziehung widmen sollen. So wird er ein Tag der Erholung und des Auftankens geistlicher Kraft. Der Ruhetag soll dazu dienen, sich dankbar an die Befreiung aus der Sündenknechtschaft durch Jesus Christus zu erinnern. (Wann hast du zuletzt einen Sonntag damit verbracht?) Er bietet uns Gelegenheit zur Selbstprüfung, ob wir nicht erneut in falsche Abhängigkeiten geraten sind und um Zeit für Gott zu haben. (Nutzen wir den Sonntag für die von Gott dafür vorgesehenen Zwecke?)

Nehmen wir sein Ruhegebot ernst?

Nehmen wir Gottes Ruheanweisung wirklich in seinem Sinne ernst? Oder kranken wir nicht auch an dem, was Forscher herausgefunden haben, dass nämlich versucht wird, immer mehr in diese uns zur Verfügung stehende „freie Zeit“ hineinzupacken? Uns bestimmt auch hinsichtlich der Zeit weithin ein quantitatives Denken und selbst viele Christen meinen, je mehr sie erleben, desto mehr hätten sie vom Leben. Das ist Unsinn. Dadurch kommt es lediglich zu der heute überall wahrzunehmenden Kurzlebigkeit.

Es ist also auch im Gemeindeleben nicht so sehr eine Frage der Organisation unserer Zeit, sondern das Problem bildet ihre Überfüllung. Hier benötigen wir heute mehr denn je eine Besinnung auf das Wesentliche. Und genau darauf weist Gott uns in seinem Wort hin. Nur wer sich auf dieses „Eine-was-Not-tut“ konzentriert, bekommt mehr Gelassenheit und Frieden (Lukas 10,42).

Es ist heute Mode geworden, ständig seine Lebensgeschwindigkeit erhöhen zu wollen. Das geht aber nicht. Bestimmte Vorgänge haben ihre vorgegebenen Eigenzeitlichkeiten, die wir nicht verändern können. Versucht einmal, ganz schnell hintereinander zu schlucken. Ihr braucht es nicht zu versuchen, es geht nicht. Der Körper hat seine Eigenzeitlichkeit zum Aufnehmen von Nahrung. Wenn man versucht, das zu beschleunigen, verschließt sich die Kehle. Und wenn man diesen Widerstand brechen will, erbricht man sich. Das gilt jedoch nur für biologische Prozesse, nicht für technische. Maschinen können (noch) immer schneller werden. Nur, wir sind keine Maschinen und sollten uns deshalb auch nicht ihnen angleichen wollen.

Gott bietet uns einen Ruhetag, ja er ge-bietet ihn, weil er weiß, wie dringend wir ihn nötig haben. Sollten wir sein Wort nicht ernster nehmen?

3. Gott ist der Herr der Zeit.

Hüten wir Gottes Leihgabe!

Gott allein „hat“ Zeit. Wir „haben keine Zeit“, d.h. wir haben kein Eigentumsrecht auf die Zeit. Alle Zeit ist Gottes Zeit. Jeder Sonntag sollte uns daran erinnern, dass „unsere Zeit“ uns als Leihgabe von Gott zur Verfügung gestellt wurde, damit wir sie recht nutzen (Kolosser 4,5). So wird auch im vierten Gebot zuerst und vor allem von Gottes guter Gabe gesprochen, aus der sich dann unsere Aufgabe ergibt. Bei Gott fängt alles mit seinem Schenken an.

Welche Konsequenzen würde es haben, wenn wir uns neu bewusst machten, dass alle unsere Zeit, also auch „unser“ Sonntag, geliehene Zeit ist? Wir werden einmal gefragt werden, was wir mit dieser wertvollsten Leihgabe, die Gott uns anvertraute, gemacht haben.

Obwohl Gott also der Herr aller unserer Tage ist, will er, um das zu verdeutlichen, besonders klar erkennbar der Herr EINES Tages sein. Deshalb ehren wir ihn als Herrn des Ruhetags und lernen durch diese ständig sich wiederholende Lektion, ihn als Herrn aller unserer Tage zu ehren. Wenn wir ihn jedoch nicht einmal mehr an diesem besonderen Tag ehren, tun wir es dann überhaupt noch?

Gehorchen wir zum Lobe Gottes!

Reden wir nicht darum herum: die Mitte und Hauptsache des christlichen Sonntags ist die Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst. So gewiss der Ruhetag nicht aus­schließlich für den Gottesdienstbesuch da ist, so sicher ist es ebenso, dass dem Sonntag das Wichtigste und Entscheidende fehlt, wenn der Gottesdienst wegfällt. Denn, auch im vierten Gebot geht es um Gottes Ehre und Verherrlichung und das ist genau der Grund, weshalb sich die christliche Gemeinde am Sonntag versammelt.

Wer als hart arbeitender Mensch sonntags den Weg zum Gottesdienst findet, wird zum lebenden Gegenbeweis zu der vorgefassten Meinung seiner Kollegen, Nachbarinnen und Freunde, sie seien von der Tretmühle der Woche zu erschöpft, um sonntags morgens zum Gottesdienst gehen zu können. Und wenn dann noch überzeugend davon berichtet wird, wie sie der Gottesdienstbesuch ruhiger, gestärkter, zuversichtlicher in die neue Arbeitswoche gehen lässt, als das jede andere Art der Erholung vermöchte, dann wird dies zu einem Zeugnis, das auch andere Zeitgenossen hier und da aufhorchen lassen wird.

Bereiten wir uns auf die Ewigkeit vor!

Jeder Sonntag ist zuletzt auch ein Hinweis darauf, dass es eine Vollendung gibt, in der nicht mehr die Arbeit, mit ihrem ständigen Immer-wieder-von-vorn-anfangen-müssen unser Dasein bestimmen wird, sondern die Freude an Gottes Ziel angekommen zu sein.

Gott führt uns mit diesem Gebot vor Augen: Alle unsere Zeit ist begrenzte Zeit. Jeder Ruhetag soll uns daran erinnern, dass unser Leben ein Ziel hat: die ewige Ruhe Gottes. Deshalb ist die Bibel voller Ausrufezeichen, die Begrenztheit unserer Zeit nicht zu vergessen. (Psalm 90,12; Lukas 13,8; Römer 13,12) - So weist auch dieses vierte Gebot ‑ wie alle Gebote ‑ zurück auf das erste, das Hauptgebot: „Ich bin der HERR, dein Gott, du sollst keine an­dern Götter neben mir haben.“ Wer Gott verloren hat, der verliert auch göttliche Ruhe.

Manfred Herold

Manfred Herold