Das zweite Gebot

Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was in den Wassern, unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied derer, die mich hassen, der aber Gnade erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.“ (2. Mose 20,4‑6)

Unsere nachchristliche Zeit ist hinsichtlich der Gottesverehrung durchaus mit der Zeit des alten Israels vergleichbar. Aberglaube und Verehrung fremder Götter ist gesellschaftsfähig geworden. Überall trifft man heute fremdländische Götter‑ und Götzenbilder, exotische Rituale und mystisch‑geheimnisvolle Kulte an. Menschen, die den wahren Gott nicht kennen, nehmen solche Götter an und verehren sie. Man trägt fremde religiöse Symbole an Hals und Ohr. Amulette und Tätowierungen sind in. Scheinbar niemand kennt die Gefahren, die damit verbunden sind.

In unserer heutigen Bilderflut gilt die Verkündigung dem Augenmenschen unserer Tage mehr und mehr als Zumutung. So ist unter der Hand die Frage nach dem Wort in seinem Widerstreit zum Bild eine Glaubensfrage geworden. Das ist sie deshalb, weil der christliche Glaube keine Gefühls- oder Stimmungssache ist, sondern eine Botschaft, die in der Bibel seine Urkunde und seinen Maßstab hat und die gepredigt, gehört, gelehrt, eingeschärft und erfasst werden muss. Und schon sind wir bei der Bedeutungsmitte des 2. Gebots.

1. Die Bedeutung des Bilderverbotes

Das Verbot von Bildern verbietet natürlich nicht die Herstellung von Kunstwerken, wie manche meinen. Hier unterscheidet sich das Christentum vom Islam, der keine den Menschen oder andere Geschöpfe darstellende Kunst erlaubt. Das Gebot ist gegen die Herstellung von Gegenständen zur religiösen Verehrung erlassen worden. Gott ist also auch nicht der Meinung, sie könnten „Hilfsmittel“ zur Gottesverehrung sein, wie die röm.-kath. Kirche lehrt.

Das Bilderverbot im Dekalog Israels war im Alten Orient einmalig. Dort wimmelte es von Göttern und Götterbildern. Bilder repräsentierten im Alten Orient die abgebildete Sache oder Person in materieller Gestalt. („Wer das Bild hat, der hat den Gott.“) Diese Sichtbarmachung der Götter in Bildern und Bildwerken machte den heidnischen Glauben geradezu aus. Deshalb wurden sie mittels des Bildes verehrt, angefleht, besänftigt oder mit ins All­tagsleben hineingezogen. Für jeden Zweck (Saat, Ernte, Frucht­barkeit, Schutz) konnte man sie, im wahrsten Sinn des Wortes „handhaben“, d.h. in der Hand haben.

Aber genau dem entzieht sich Jahwe, der Gott der Bibel. Er ist unsichtbar und unvergleichlich. Er lässt nicht über sich verfügen. Deshalb darf Gott nicht abgebildet werden, „denn ihr habt keinerlei Gestalt gesehen an dem Tag, als der HERR ... zu euch rede­te“ (5. Mose 4,15).

Wir wissen: Bilder „bilden“ uns (Beispiele: Fans von Werder Bremen, von Musikern, anderen Stars) und werden so oft unmerklich zu Göttern. Der Mensch ist nach Gottes Bild geschaffen und soll in das Bild Jesu umgestaltet werden (Römer 8,29). Deshalb ist Gott der einzige, der das Recht hat, uns zu „bilden“. Weil jedoch das Anschauen jeden Bildes mehr oder weniger intensive Prägungen verursacht, deshalb ist Bilderverehrung verboten. Nun ist nicht bereits jedes Anschauen eines Bildes Bilderverehrung, aber wir müssen sorgfältig mit Bildern umgehen, denn sie haben Macht.

Das Gefährliche am Bild ist, dass es durch sein bloßes Vorhandensein wirkt. Dabei ist jedes Bild vieldeutig interpretierbar und viel leichter zu manipulieren, als das geschriebene Wort. Das Medium Bild ist nicht in der Lage, das Medium Wort adäquat zu ersetzen. „Ein Bild sagt mehr als tausend WORTE“ bedeutet eben auch: „Ein Bild sagt MEHR als tausend Worte“ d.h. es hat keine klare Aussage. Das Bild legt mich nicht fest, wie das Wort. Deshalb müssen Christen Bildern, Visionen, Träumen und Eingebungen gegenüber kritisch eingestellt bleiben und sie stets an der höheren Autorität des Wortes Gottes messen (Jeremia 23,28-29).

Es gibt nur einen Zugang zu Gott: Das Anrufen des Namens Jesus im Gebet. Es geht beim Bilderverbot um die Verneinung aller Beeinflussungsmöglichkeiten außer der einen: Im Namen Jesu zu Gott zu beten. Jesus lehrte in Johannes 4,21‑24: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten!“ Gott will letztlich keinen äußeren Gottesdienst mit Dingen und Formen, mit von Menschen dargebrachten Gaben und Leistungen, sondern einen Gottesdienst des empfangenden und anbetenden Herzens. Er will eine Verehrung im Glauben und in der Liebe, die so nur im Geist möglich ist. Gott gefällt ein Gottesdienst, der seine Kraft im Alltag entfaltet und der in der Liebe wirksam wird.

2. Die Verführungsmacht des Bildes

Gott erin­nerte sein Volk an sein Erlösungswerk: „Deine Augen haben alles gesehen, was der Herr, euer Gott ... getan hat“ (5. Mose 3,21). Das Volk Gottes sollte die Realität Gottes nicht in toten Bildnissen suchen, sondern in den Tatsachen der Heilsgeschichte und in einer lebendigen Beziehung zu diesem Gott.

Leider hat Israel trotz des Verbots von Bilder‑ und Göt­zendienst genau dies immer wieder getan. Der Sog, den Unsichtbaren sichtbar zu machen, das Unfassbare anzufassen, zu schauen statt zu glauben, war und ist auch heute noch sehr groß. Machen wir uns bewusst: Die schrittweise Enthüllung aller Geheimnisse durch veröffentlichte Bilder (Bilder des Mikro- und Makrokosmos, intimste Einzelheiten und Enthüllungen aller Art), machen es dem modernen Menschen immer schwerer, an einen UNSICHTBAREN Gott zu glauben.

Unsere Fernsehgeneration meint, das Wesentlichste, Größte, Bedeutendste sei das, was man sieht oder gesehen hat. Darauf könne man sich verlassen. Das stelle DIE Wirklichkeit dar. Gottes Wort aber sagt uns nach wie vor: Nicht das, was man sieht, sondern was man HÖRT ist das Wesentlichste, denn der Glaube kommt nicht aus dem Sehen, sondern aus dem GEHÖRTEN WORT (Römer 10,17). - Welch eine Herausforderung!

Als Christen sollten wir die Gefahren der Bilderflut kennen und z.B. darauf achten, dass wir und unsere Kinder noch Freude am Lesen haben, oder wieder bekommen und vor allem behalten. Denn meinen wir, wenn sich unsere Kinder durch übermäßiges Fernsehen mit der Zeit das Lesen mehr und mehr abgewöhnt und verlernt haben, sie würden dann noch die Bibel lesen? Je mehr christliche Filme es gibt, desto weniger lesen unsere Kinder (und manche Erwachsene) in der Bibel und um so weniger sind sie in der Lage zu prüfen, ob die Bilder, die ihnen präsentiert werden, noch mit dem Worte Gottes übereinstimmen oder ob sie verführt werden. Die rapide zurückgehende Bereitschaft und Fähigkeit zu lesen, zu hören und sich gedanklich mit dem Wort allgemein und mit dem Wort Gottes im besonderen, auseinander zu setzen, sollte uns zu einfühlsamen Gegenmaßnahmen herausfordern.

Übermäßiger Fernsehkonsum macht mit der Zeit unfähig, sich auszudrücken, ernsthafte Gespräche zu führen, soziales Verhalten zu üben. Wir müssen unbedingt darauf achten, dass der Lärm, dem wir uns freiwillig aussetzen, uns nicht taub, dass die Bilderflut unsere Seele nicht blind macht.

3. Der Vorrang des Wortes vor dem Bild

Heute liegt auch eine unheimliche Gefahr in den geistigen Bilder, die wir uns von Gott machen. Darin stelle ich mir Gott vor und mache ihn mir nach meiner Vorstellung zurecht! Das ist gefährlich. Erinnern wir uns daran, dass die Juden den Messias ablehnten, weil er ihren theologischen Bildern und Vorstellungen nicht entsprach! Sie erwarteten einen politi­schen Messias, den leidenden Gottesknecht erkannten sie nicht. Und welche Folgen hatte das für sie!

Wie oft kann man z.B. heute hören: „Das kann ich mir nicht vorstellen, dass Gott Men­schen im Gericht verdammt.“ Was ich mir vorstellen kann oder nicht, ist überhaupt nicht maßgebend. Alle meine Vorstellungen sind immer unendlich viel kleiner als Gott selbst. Das ist die automatische Tendenz jedes Gottesbildners: Er macht Gott kleiner als er ist. Hier muss besonders die Theologie wachsam bleiben, weil bisher gerade in ihrer Werkstatt viele Bilder von Gott entstanden sind, die in Konkurrenz zum einmal überlieferten Wort der Bibel standen und ihm nicht entsprachen.

DAS Medium der Selbstmitteilung Gottes ist und bleibt das Wort (Johannes 1,1f). Gott hat uns als vernunftbegabte Wesen erschaffen und indem er sein Wort an uns richtet, behandelt er uns als solche. Wahres Christentum nimmt Gottes Wort mit der von Gott erneuerten Vernunft auf, bedenkt es, sinnt darüber nach, prägt es sich ein und lässt sich so zu sittlichem Handeln herausfordern und ermächtigen (Kolosser 3,16-17).

Der christliche Glaube gäbe sich selbst auf, wollte er auf die einzigartige Geltung des Wortes zugunsten bildhafter Darstellungen, Visionen und Träume verzichten. Der Glaube erwächst nicht aus dem Bild und auch nicht aus der Musik, sondern er kommt aus dem Wort, dem verkündigten Wort, der guten Botschaft von Jesus Christus.

Seien wir vorbereitet: Im Buch der Offenbarung wird die vom Antichristen geforderte Bilderverehrung zum endzeitlichen Scheidungsmerkmal, in dem das AT-Bilderverbot noch einmal entscheidend zur Geltung kommt (Offenbarung 13,14-17; 14,9-10).

Zusammengefasst: Weil Gott unsichtbar ist, darf er von Menschen nicht sichtbar oder greifbar gemacht werden. Das Geheimnis der wahren Gottesverehrung ist das Nichtsehen und doch glauben (Johannes 20,29). Im Bilderverbot eröffnet Gott den Weg für eine Religion des Glaubens und Vertrauens, des Glau­bens an sein lebendiges Wort und sein rettendes Handeln in Jesus Christus, dem Heiland der Welt.

Das einzige und verbindliche Bild von Gott ist Jesus: „Jesus Christus ist das Bild des unsichtbaren Gottes!“ (Kolosser 1,15). Dieser Jesus sagt: „Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat“ (Johannes 12,45). Deshalb dürfen wir Jesus anbeten und in ihm den Vater. Wer ihn anbetet, braucht keine anderen Bilder mehr. (Das Bild des Geliebten reicht ihm aus!)

Manfred Herold

Manfred Herold