Die Kritik und das Kreuz

Am 28. Januar 1986 startete das Space Shuttle „Challenger“ mit der 7 köpfigen Besatzung zu seiner Mission. Nur 75 Sekunden nach dem Start ereignete sich die Tragödie. Vor einer alles beobachtenden Welt brach das Shuttle plötzlich auseinander und zerfiel in eine Wolke von Trümmern aus Metall, Blut und Knochen. - Was war schief gelaufen? Das war die bohrende Frage, die sich alle stellten. Als Forscherteams das Wrack untersuchten, wurde die Ursache schnell gefunden. Das Problem waren kleine kreisrunde Gummidichtungen. Sie waren unbrauchbar geworden und das daraus resultierende mechanische Versagen führte zur Tragödie. - War das die ganze Geschichte? Nein! Die Wahrheit kam irgendwann später heraus. Die „New York Times“ brachte es auf den Punkt: „Die ultimative Ursache der Space-Shuttle-Katastrophe war Stolz.“ Eine Gruppe von Top-Managern hörte nicht auf die Warnungen, Ratschläge und Kritiken einiger Mitarbeiter, die sich wegen der Betriebssicherheit bestimmter Kleinteile des Shuttles Sorgen machten. Beachten wir: Beachtete Kritik hätte sieben Menschenleben retten können.

Mir wurde in den Jahren meines Dienstes klar, welch entscheidend wichtige Rolle, aktive und passive Kritik spielt. Wir haben es als Christen unbedingt zu lernen, dass uns allein die Besinnung auf das Kreuz Christi zu rechtem Umgang mit aktiver und passiver Kritik verhelfen kann.  Ich will kurz erläutern, was ich damit meine.

1. Unsere natürliche Abwehr jeder Kritik und der Grund dafür.

Zunächst meine Definition von Kritik: „Kritik ist der Hinweis darauf, dass ein bestimmter Maßstab nicht eingehalten wird.“ Der Maßstab kann göttlicher oder menschlicher Natur sein. Das Urteil kann wahr oder falsch sein. Es kann sanft oder hart verurteilend erfolgen. Die Kritik kann von einem Freund oder einem Feind kommen. Wie dem auch sei, es wird festgestellt, dass du einen Standard verfehlt hast.

Kritik ist sowohl schwer richtig, d.h. angemessen, vorzubringen als auch zu ertragen. Die meisten von uns würden dem zustimmen. Wer von uns kennt nicht jemanden, dem man auch die sanfteste Kritik nur äußerst vorsichtig nahe bringen kann, weil er/sie sonst in die Luft geht? Oder der jede Kritik unterlässt, weil er die verschiedensten Vergeltungsmaßnahmen fürchtet? Du kennst doch auch Leute, die am liebsten mit denen arbeiten, die ihnen nicht widersprechen und die deshalb einfach zu händeln sind?

Warum wehren sich Herz, Verstand und Emotionen so heftig gegen jede Kritik? Die Antwort ist einfach. Wir verteidigen immer das, was wir für wertvoll halten. Wir denken, wir müssten unser Leben retten. Wenn ich nicht darauf hinweise, dass ich missverstanden, falsch zitiert oder fälschlicherweise beschuldigt worden bin, werden andere nie erfahren, dass ich Recht hatte. Und wenn  ich nicht auf mein Recht hinweise, wird es niemand tun. 

Hier tritt unser Stolz deutlich zu Tage, der Wunsch nach Selbstbestätigung. Aufgrund dieses tiefen götzendienerischen Verlangens nach Selbstbestätigung ereignete sich die Tragödie des Space Shuttles und ereignen sich die vielen kleinen Streitereien in unseren Familien und Gemeinden.

Unser Stolz und unsere Dummheit kosten uns Freunde, Ehepartner und Angehörige. Manchmal tolerieren wir auch eine Art Waffenstillstand. Wir verpflichten uns z.B., bestimmte Themen nicht mehr anzusprechen, gewisse Wahrheiten in Anwesenheit bestimmter Leute lieber zu verschweigen. So spalten sich Gemeinden. Wir umgeben uns mit „Ja“-Sagern, die bereit sind, uns niemals herauszufordern oder zu kritisieren. Während wir uns weiterhin gegen Kritik wehren, finden wir, dass die Heilige Schrift etwas ganz anderes lehrt.

2. Was die Bibel über Kritik und das Kreuz Jesu Christi sagt.

Die Fähigkeit, Korrekturen oder Kritik anzuhören und zu beachten, wird in der Bibel ausdrücklich gelobt.

Der Weg des Narren ist richtig in seinen Augen, aber ein Weiser hört auf gute Ratschläge.“ (Sprüche 12,15)

Eine Zurechtweisung macht mehr Eindruck auf den Verständigen als hundert Schläge auf den Narren.“ (Sprüche 17,10)

Lernfähig zu sein, d.h. in der Lage und willig zu sein, auf Korrekturen zu hören und sie, wenn nötig, anzunehmen - ist ein Zeichen von Weisheit. Und der weise Vater und die weise Mutter werden eine solche Einstellung bei ihren Töchtern und Söhnen fördern und zu entwickeln suchen. Wer das weder kann, noch lernt, ist ein „Narr“. Dabei wird betont, dass sowohl der Weise als auch der Narr ernten wird, was er gesät hat.

Frage dich: Will ich Kritik so mit den Augen Gottes sehen? Wie gewöhne ich es mir ab, jede Kritik möglichst schnell abzuwehren oder mich gegen sie zu verteidigen?

Die richtige Antwort besteht darin, alles zu glauben und zu bejahen, was Gott über uns im Kreuz Christi sagt. Mache dir bewusst: Das Kreuz hat mich umfassender, tiefer, vollständiger und wahrhaftiger kritisiert und verurteilt, als es jemals irgend jemand anderes könnte.

Paulus fasste es so zusammen: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden“ (Galater 2,20). Was bedeutet das? Ein Gläubiger identifiziert sich mit allem, was Gott an der Kreuzigung Christi bejaht und verurteilt. Gott bekräftigt in der Kreuzigung Christi die ganze Wahrheit über Sich selbst: Seine Heiligkeit, Güte, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Wahrheit, wie sie in Seinem Sohn offenbart und demonstriert werden. - Ebenso verurteilt Gott am Kreuz alles, was wir sind und ohne Ihn tun, alle haltlosen Verdächtigungen und Unterstellungen, jede Lüge, jeden Betrug und unser götzendienerisches Herz. 

3. Als ich Christus angenommen habe, stimmte ich Gottes Urteil über mich zu.

Der Heilige Geist lehrt mich, und das ist wahrscheinlich seine schwierigste Aufgabe, mich so zu sehen, wie Gott mich sieht – als begnadigten Sünder (Johannes 16,8). Dieser Wahrheit sollte ich mich nie mehr entziehen: „Niemand ist gerecht, nicht einmal einer“ (Römer 3,10). Als ich mit Christus am Kreuz hing, hat mich der Vater intensiver, gründlicher und durchdringender kritisiert und verurteilt als irgendjemand sonst. Dieses Wissen erlaubt es mir, allen anderen Kritikern zu sagen: „Du hast ja keine Ahnung, du kennst nur einen kleinen Bruchteil meiner Sünden, Fehler und Macken.“

Durch den Glauben bestätige ich Gottes Urteil über mich selbst, dass ich ein Sünder bin. Ich glaube auch, dass die einzig wirksame Antwort auf meine Sünde das Kreuz ist.

„Nicht mehr ich bin es, der lebt, nein, Christus lebt in mir.“ (Galater 2,20) Das Kreuz kritisiert mich also nicht nur, es verurteilt mich auch, weil ich das Gesetz Gottes übertrete. Glaubst du das?

Christ zu sein heißt, mit allem, was Gott über meine Sünde und meine Erlösung sagt, übereinzustimmen. Als eine Person, die mit Christus „gekreuzigt“ wurde, stimmen ich dem Urteil Gottes über mich zu und befürworte es: „Es gibt niemanden, der gerecht ist, nicht einmal einen.“ (Römer 3,10).

4. Die Folgen für meinen Umgang mit Kritik

Angesichts des Erlösungswerkes Christi am Kreuz will ich es lernen, angemessen mit Kritik umzugehen. Wenn ich der Kritik Gottes an mir im Kreuz Christi zustimme, kann ich mich jeder menschlichen Kritik stellen, denn: Niemand kann mich mehr kritisieren als das Kreuz. Und diese brutalste Kritik erweist sich als reine Barmherzigkeit. 

Wenn du also der Tatsache zugestimmt hast, dass du mit Christus gekreuzigt bist, kannst du auf jede Kritik - auch auf falsche oder feindselige - ohne Bitterkeit oder Schuldzuweisungen reagieren. Solche Reaktionen entschärfen normalerweise Konflikte und erleichtern den Bau von Brücken. So kannst du es lernen, Kritik als konstruktiv und nicht verurteilend anzuhören.

Wer wird es noch wagen, Anklage gegen die zu erheben, die Gott erwählt hat? Gott selbst erklärt sie ja für gerecht. Ist da noch jemand, der sie verurteilen könnte? Jesus Christus ist doch ´für sie` gestorben, mehr noch: Er ist auferweckt worden, und Er ´sitzt` an Gottes rechter Seite und tritt für uns ein.“ (Römer 8,33-34)

Ich fürchte die Kritik der Menschen nicht mehr, denn ich habe dem Urteil Gottes über mein Leben bereits zugestimmt. Und ich lebe nicht mehr von der Zustimmung der Menschen, sondern von der Zustimmung Gottes. Meine wichtigste Aufgabe sehe ich nicht mehr darin andere zu kritisieren, sondern mich selbst und meine Sünde zu verurteilen. Andere kann ich nicht ändern, wohl aber mich selbst.

Wenn ich mich als mit Christus gekreuzigt ansehe, werde ich mit einer anderen Einstellung Kritik ertragen und annehmen: „Christus hat mir mehr über meine Sünde, mein Versagen, meine Rebellion und meine Dummheit gezeigt, als irgendjemand sonst. Deshalb danke ich dir für deine Korrekturen. Sie sind ein Segen für mich. Denn selbst wenn sie falsch und unzutreffend sind, erinnern sie mich doch an meine wahren Fehler und Sünden, für die mein Herr und Erretter teuer bezahlt hat, als Er für sie ans Kreuz ging. Ich bin bereit mir jede Kritik anzuhören.“

Was mein Leben belastet, schwer und unzufrieden macht, sind nicht die Fehler anderer, sondern meine eigenen, dass ich stolz, besserwisserisch und undankbar bin. Denn die Kritik und Ratschläge, die ich zu hören bekomme, wurden von meinem himmlischen Vater sanktioniert.  Er verbindet damit Seine Korrekturen, Seinen Tadel und Seine Warnungen. Er will mich dadurch demütigen, die Wurzel meines Stolzes ausmerzen und ihn durch einen Lebensstil wachsender Weisheit, Güte und Wahrheit ersetzen. Je besser du Kritik entgegenzunehmen lernst - egal ob gerechte oder ungerechte -, um so besser wirst du es lernen, sie anderen gegenüber in gnädiger Absicht und konstruktiver Art und Weise zu äußern.

5. Anwenden, was ich gelernt habe

a. Ich lerne es, Kritik auszuhalten!

Wie reagiere ich normalerweise auf Korrekturen? Schmolle ich, wenn ich kritisiert oder korrigiert werde? Was ist meine erste Antwort, wenn jemand sagt, ich liege falsch? Neige ich dazu, die Person anzugreifen? Den Inhalt der Kritik ablehnen? Wie gut nehme ich Ratschläge an? Versuche ich es überhaupt? Trauen sich andere, mich zu korrigieren? Bin ich lernwillig? Ärgere ich mich über die Person, die mich kritisiert? Versuche ich sofort, mich zu verteidigen, meine guten Absichten zu betonen oder lasse ich mich korrigieren?

b. Ich lerne es, in aller Deutlichkeit behutsam zu sein.

Ich verwende das Buch der Sprüche und lerne daraus, bereit und in der Lage zu sein, Kritik, Ratschläge, Tadel oder Korrekturen entgegenzunehmen. Ich denke über die folgende Aussagen nach: Sprüche 9,8; 12,15; 13,10+13; 15,32; 17,10;  Psalm 141,5.

c. Ich lerne es, mich mit Christus am Kreuz zu sehen.

Obwohl ich weiß, dass ich mit Christus gekreuzigt bin, lebe ich noch nicht andauernd im Licht dieser Wahrheit. Also stelle ich mir zwei Fragen:

1. Wenn ich mich ständig unter der Kritik anderer winde, wie kann ich dann sagen, dass ich Gottes Kritik am Kreuz an mir angenommen habe? 

2. Wenn ich mich andauernd rechtfertige, wie kann ich dann sagen, dass ich mich durch das Kreuz Christi gerechtfertigt weiß? 

Dies lässt mich immer wieder neu über Gottes Gericht und Rechtfertigung des Sünders in Christus am Kreuz nachdenken. Wenn ich das tue, wächst in mir die Entschlossenheit, mit allem übereinzustimmen und zu bestätigen, was Gott über mich in Christus sagt.

d. Ich lerne es, meine Worte sorgfältig zu wählen.

Weil ich als Sünder von dem am Kreuz geschehenen Erlösungswerk her beurteilt werden möchte, deshalb kritisiere ich andere ebenso, d.h. in einer Weise, welche die Gnade Gottes durchscheinen lässt. Klare, sachliche Kritik, liebevoll zum Ausdruck gebracht, hat die beste Chance gut aufgenommen zu werden. Unfaire Kritik in harten Worten abgegeben, ist schwer zu ertragen. Wie kann ich es lernen, klare, sachliche, faire Kritik zu üben, die einem barmherzigen Geist entspringt?

Mein Gebet ist, dass wir den Kampf gegen unsere Sünde kompromisslos weiterführen und so in der Liebe zu Jesus weiter wachsen. Dann können und werden wir andere im Glauben stärken und ermutigen, denn nur das zählt einmal vor dem Thron Gottes.

6. Kritik zu üben ist ein Weg Gottes

Ich sehe meinen Bruder/meine Schwester als einen, für den Christus gestorben ist (1. Korinther 8,11). - Liebe sie als deine Geschwister (Hebräer 13,1). Wenn du nicht mehr berücksichtigst, dass bei allem, was uns zeitweise trennt, das was uns verbindet viel stärker, entscheidender und gewichtiger ist, dann bist du in einer ernsten Lage: Denn, wie kannst du dich von dem abwenden, für den Jesus gestorben ist und den der Vater als Sein Kind angenommen hat, ohne dich selbst als Kind Gottes zu disqualifizieren?

Ich nehme mir im Vertrauen auf den heiligen Geist vor:

  • Ich will anderen als einer begegnen, der auch ein Sünder ist.  (Römer 3,9+23)

  • Ich will darauf achten, dass ich nicht aus falschen Motiven heraus kritisiere. (Sprüche 15,28)

  • Ich will mein eigenes Leben untersuchen und zuerst meine Sünden bekennen. (Matthäus 7,3-5)

  • Ich will nicht überheblich, sondern geduldig mit anderen sein. (Epheser 4,2)

  • Ich will keine Diskussionen gewinnen, sondern durch weiterhelfende Kritik andere fördern. (Epheser 4,29)

  • Ich will meinen Bruder/Schwester sanft in der Hoffnung korrigieren, dass Gott ihnen Gnade zur Umkehr schenken wird, so wie ich selbst nur durch Seine Gnade echt bereue. (2. Timotheus 2,24-26)

  • Ich will auch auf kleine Schäden hinweisen, die zu großen Katastrophen führen können.

  • Ich werde meinen Kritikern noch einmal danken!

    Frage dich stets:

  • Half diese Diskussion beim Bau der Gemeinde? (Matthäus 12,36)

  • Welche Rolle wird diese Kritik oder jener Streit einmal vor dem Thron Gottes spielen?

Manfred Herold


Manfred Herold