Jahreslosung 2024

Obwohl die Bibel eine Botschaft für alle Menschen hat, kann doch jede ihrer Aussagen nur auf dem Hintergrund ihres jeweiligen Zusammenhangs richtig verstanden werden. So auch die diesjährige Losung: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ (1. Korinther 16,14) Ein herausfordernder Satz! Aber, was ist damit gemeint? Von welcher „Liebe“ ist hier die Rede? - Beachten wir zuerst: Das ist keine Aufforderung an die Menschen im allgemeinen. Es ist hier nicht von menschlicher Liebe die Rede. Sie vermag so etwas nicht! Hier spricht Paulus Christen an und bezieht sich auf die Liebe, die uns vom Vater in Jesus Christus durch den Heiligen Geist geschenkt wurde (Römer 5,5) und die allein zu echter Gegenliebe sowohl Gott als auch Menschen gegenüber befähigt.

Jesus sagt in Johannes 15,9: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ Nur der an Jesus Christus Glaubende, d.h. der in engem Kontakt mit Jesus, der person-gewordenen Liebe Gottes, lebt, ist in der Lage, den Aufruf der Jahreslosung zu befolgen. - Dazu noch einige grundlegenden Anmerkungen:

1. Das moderne Missverständnis der Liebe Gottes

Von den Gedanken, die sich Menschen heute über Gott machen, sind meiner Einschätzung nach die über Seine Liebe am unzutreffendsten. Unter „Liebe“ verstehen unsere Zeitgenossen allgemein persönliches Glück, tief gehende Erfüllung, starke Gefühle von Geborgenheit und Freude, und totale Bejahung und Wertschätzung. Manchmal wird sogar der Eindruck erweckt, als handle es sich um ein unfreiwilliges Gefühl. Man wird, so heißt es häufig, von der Liebe „erwischt“ oder „umgehauen“.

Heute meinen viele Christen Gott allein auf Grund der Tatsache, dass Er „Liebe“ ist, verstehen zu können. Problematisch ist dabei nur, dass wir alle von unserem unzutreffendem Vorverständnis von „Liebe“ ausgehen. Wir müssen uns fragen: Woher nehmen wir egoistischen Menschen denn eigentlich den Maßstab für das, was „LIEBE“ ist? Sind wir sicher, dass das, was wir uns unter LIEBE vorstellen, auch das ist, was Gott unter LIEBE versteht?

Menschen, die Gott nur als die personhafte Liebe ansehen, weigern sich in der Regel, Gottes Zorn auf die Sünde anzuerkennen, denn sie meinen, Gott könne nicht Sünder lieben und gleichzeitig zornig auf sie sein. Sie hört man dann sagen: „Gott liebt dich! Er sagt „Ja“ zu dir! Er nimmt dich an, wie du bist!“ Aber genau das sagt die Bibel so nicht. Jesus sagte vielmehr: „Wer an den Sohn glaubt, der hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm.“ (Johannes 3,36)

Wenn wir die Aussagen der ganzen Heiligen Schrift ernst nehmen, dann erkennen wir deutlich, dass die Liebe Gottes zu Sündern und Sein Hass auf die Sünde zu gleicher Zeit bestehen, ja sogar einander bedingen. Noch mehr: Gottes Liebe und Gottes Heiligkeit können nur im Licht Seines Zornes gegen die Sünde richtig verstanden werden. Sein Zorn auf die Sünde ist wesentlicher Bestandteil Seiner Liebe. Weil die Sünde die Menschen kaputtmacht, deshalb hasst Gott die Sünde. (Kampf dem Krebs!) Wir müssen Gottes Liebe aus Seiner Perspektive sehen, bevor wir ihre Bedeutung für uns wirklich verstehen können.

Früher hat man Gott oft einseitig als zornigen Gott dargestellt. Das hat dann u.a. zum Gegenschlag der liberalen Theologie geführt. Sie behielt zwar die ethischen Maximen des Christentums bei, löste sich jedoch mehr und mehr von den historischen Grundlagen des Glaubens. Liberale leugneten die Gottheit Jesu, die Historizität der Bibel und die Einzigartigkeit des christlichen Glaubens. Sie folgerten, dass Gottes einzige Einstellung gegenüber der Menschheit „die reine Liebe“ sei.

Ich stelle die These auf: Wer meint, Gott allein auf Grund der Tatsache, dass Er „Liebe“ ist, verstehen zu können, verfälscht das biblische Gottesbild.

2. Die Auswirkungen der einseitigen Betonung der Liebe Gottes

Der Gott, den die meisten Evangelikalen heute bekennen, ist ausschließlich liebevoll und überhaupt nicht zornig. Ironischerweise verhindert gerade diese Überbetonung des Wohlwollens Gottes ein gesundes Verständnis von der Liebe Gottes. Solche, die Gott nur als liebevoll und gütig beschreiben, erwecken oft den Eindruck, als sei Gott die Sünde der Menschen einfach gleichgültig.

Doch die Bibel macht durchweg deutlich, dass die Furcht Gottes, d.h. der Respekt vor Gott, die Grundlage aller wahren Weisheit ist (Hiob 28,28; Psalm 111,10; Sprüche 1,7; 9,10; 15,33). Gerade die Realität des Zorns Gottes macht Seine Liebe umso erstaunlicher. Deshalb müssen wir diese Wahrheit mit derselben Überzeugung verkünden wie die Liebe Gottes. Das ist die Botschaft des Kreuzes Christi.

Wir sind schon so lange der Lehre des Selbstwertgefühls ausgesetzt, dass sich die meisten Zeitgenossen gar nicht mehr als Sünder, die den Zorn Gottes verdient haben, sehen. Aber genau das ist die Stellung eines jeden Menschen vor Gott.

Es ist erschreckend, wie vollständig das Thema „Sünde“ heute in Gemeinden verschwiegen wird. Die humanistische Überzeugung, dass der Mensch gut sei und deshalb zu Gutem fähig sei, wird auch in vielen Gemeinden heute stillschweigend vorausgesetzt. Darauf gründet dann auch die irrige Hoffnung, dass die Jahreslosung bei etwas gutem Willen und moralischer Anstrengung erfüllt werden könne.

3. Der klarste Beweis der Liebe Gottes

Wahre Liebe ist eine Sache des Willens, nicht des blinden Gefühls. Die in 1. Korinther 13,4-7 beschriebene Liebe kann unmöglich ein wechselhaftes Gefühl sein. Alle diese Eigenschaften der Liebe beziehen den Verstand und den Willen mit ein. Sie ist ein wohlüberlegter Entschluss, bei dem es mir nicht um die Befriedigung meiner eigenen Bedürfnisse geht, sondern darum, dem Geliebten wohlzutun. Das Kennzeichen wahrer Liebe ist also nicht zügellose Begierde oder wilde Leidenschaft, sondern Selbsthingabe, d.h. Absage an jeden Egoismus. Die zeigte Jesus in vollendeter Form auf Golgatha. Diese Liebe ist das Herzstück des Charakters Gottes.

Weil Gottes Liebe jedoch gerecht und heilig ist, muss Er die Sünde bestrafen. Er kann sie nicht einfach erlassen und so Seine Gerechtigkeit und Heiligkeit vergessen. Manche Christen schrecken vor dem Gedanken zurück, dass ein unschuldiges Opfer Sühne für schuldige Sünder leistet. Aber genau das sagt das Evangelium. Der Tod Jesu am Kreuz ist der deutlichste Ausdruck der Liebe Gottes. Jawohl, das ist eine schockierende Tatsache.

Die frohe Botschaft lautet also nicht, dass Gott bereit ist, über deine Sünde hinwegzusehen und dir Sünder einfach zu vergeben. Die frohe Botschaft lautet, dass Gott durch das Opfer Seines Sohnes selbst den Preis für deine und meine Sünde bezahlt hat. Seine Liebe für sündige Menschen ist ganz und gar unverdient. Die Sünder, für die Christus starb, verdienten nichts anderes als Seinen Zorn und die ewige Hölle.

Liebe ist der Wille zur Gemeinschaft. Dabei ist der Wert des Anderen nicht maßgebend. Was ist ein Sünder für ein Wertgegenstand? - Und Gott will uns doch! - Nur wer wiedergeboren ist, sich also von Gott durch den Heiligen Geist Seine Liebe schenken ließ (Römer 5,5), kann mit der Jahreslosung etwas anfangen. Nur der kann die empfangene Liebe weitergeben. Weil die Liebe den andern will, sucht Sie ihn! Gerade im Suchen der Liebe erweist sich Ihr Wollen. Sie wartet nicht, bis der Andere Ihr passend erscheint oder sich zu Ihr bequemt, sondern Sie will ihn einfach, und daher sucht Sie ihn, bis Sie ihn findet! „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt hätten, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden.“ (1. Johannes 4,10)

4. Die Liebe Gottes und die Verdammnis der Sünder – wie passt das zusammen?

Der Mensch geht am Zorn Gottes zugrunde, wenn er an der Liebe Gottes achtlos vorübergeht. Deshalb ist die Verkündigung der Frohen Botschaft so wichtig, denn durch sie kann jeder, der sie glaubt, die Liebe Gottes erfahren und dann weitergeben.

Es ist also klar: Gottes Liebe kann genau so wenig von Seinem Zorn isoliert verstanden werden, wie Gottes Zorn von Seiner Liebe isoliert gesehen werden kann. Beide Eigenschaften sind konstant, vollkommen und unwandelbar. (Jesaja 53,10; Römer 3,25) Sein Zorn koexistiert mit Seiner Liebe, deshalb widersprechen sie sich auch nicht.

Will ein liebender Gott Menschen in die Hölle schicken? Die Antwort Jesu ist ganz klar: „Nein!“ Er will, dass sie gerettet werden (1. Timotheus 2,4). So „schickt“ Gott also keinen Menschen in die Hölle, weil Er das will. In der Hölle werden einmal nur die sein, die sich selbst für ein Leben ohne Gott entschieden haben. In den Himmel wird niemand zwangseingewiesen. Jeder, der dort nicht sein will, verurteilt sich selbst zum Dasein in der Hölle, d.h. zur Gottesferne.

Was macht die Hölle denn so schlimm? Viele Zeitgenossen empfinden es gar nicht als eine Qual, Gott nicht zu kennen und fern von ihm zu leben. Im Gegenteil. - Das liegt daran, dass Menschen Gott hier in diesem Leben tatsächlich übersehen und überhören können. Und es ist ja klar: Solange ich den nicht kenne, von dem ich getrennt bin, ist die Trennung für mich keine Qual. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Aber es kommt der Tag, wo die einen schauen dürfen, was sie geglaubt haben und die anderen schauen müssen, was sie nicht geglaubt haben. Hölle ist wissende Trauer über eine verfehlte Entscheidung, die sich nicht mehr revidieren lässt.

Wir dürfen nicht Gottes Liebe auf Kosten anderer Wesenszüge hervorheben. Gottes Liebe ist nur für bußfertige Sünder ein sicherer Zufluchtsort. Wer als Christ weiter bewusst in Sünde leben will, d.h. weiter seinen Egoismus ausleben möchte, für den gibt es keinen Trost und keine Hoffnung mehr. Der Mensch geht am Zorn Gottes zugrunde, wenn er sich von der Liebe Gottes nicht zur Umkehr rufen lässt (Römer 2,4). Gottes Liebe zu uns zeigt sich aber vor allem in Jesus Christus am Kreuz, d.h. in Seinem Hass gegen die Sünde und in Seiner Liebe zu Gerechtigkeit und Wahrheit.

Deshalb ist es aller Christen Vorrecht und Auftrag: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“



Manfred Herold


Manfred Herold