Onesiphorus, ein Vorbild

 

Onesiphorus, ein Christ aus der Gemeinde Ephesus, wird nur im 2. Timotheusbrief erwähnt. Sein Name heißt übersetzt „Nutzen bringend, Gewinn bringend“. In 2. Timotheus 1,16-18 heißt es: „Nur Onesiphorus hat treu zu mir gehalten. Möge seine Familie die Barmherzigkeit des Herrn erfahren! Denn er hat mich oft ermutigt und hat sich nicht geschämt, zu mir zu stehen, obwohl ich ein Gefangener bin und in Ketten liege. Im Gegenteil: Sobald er in Rom war, suchte er nach mir, und er gab nicht auf, bis er mich gefunden hatte. Wenn er an jenem großen Tag vor dem Herrn steht, möge dieser ihm Sein Erbarmen schenken! Und wie viele Dienste er ´den Gläubigen` in Ephesus erwiesen hat, weißt du selbst am besten.“ (NGÜ) Und in 2. Timotheus 4,19 grüßt Paulus das „Haus des Onesiphorus“ oder „Onesiphorus und seine Familie“. Wir wollen diese Verse genau untersuchen. Es lohnt sich! Wir erfahren hier nämlich eine ganze Menge über ihn, wodurch er für uns zu einem Vorbild werden kann.

1. Er war Mitglied der Gemeinde in Ephesus.

Der 2. Timotheusbrief war der letzte Brief, den Paulus vor seiner Hinrichtung schrieb. Er schickte ihn an Timotheus nach Ephesus. Dort war Onesiphorus ein Mitglied der Christengemeinde. Er hatte wohl, wie alle in der Provinz Asien, in vergangenen Jahren das Evangelium aus dem Munde des Apostels Paulus gehört. Er war zum Glauben an Jesus Christus gekommen, der sein ganzes Herz für sich gewann. Zugleich aber war er vom ersten Tag an darauf hingewiesen worden, dass die Nachfolge Jesu keineswegs nur fröhlich und leicht ist, sondern dass Christen durch viele „Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen müssen“ (Apostelgeschichte 14,22).

Wahrscheinlich hat er die Wunder, die durch die Hand des Apostels geschahen miterlebt (Apostelgeschichte 19,16f), sowie das Stadtgespräch, als Menschen, die sich zu Christus bekehrt hatten ihre Zauberbücher zusammentrugen und verbrannten. „Wie kann man denn nur solche kulturellen Werte so sinnlos vernichten?“ haben sich wohl viele damals in Ephesus gefragt. Der Wert jener Schriftrollen (fünfzigtausend Drachmen - Apostelgeschichte 19,19), die in Ephesus aufgrund der Verkündigung des Apostels Paulus vernichtet wurden, wird heute auf etwa 40 000 € geschätzt. Das Evangelium bewegt Menschen, sich von erkanntem Bösen zu trennen. - Hatte es bei dir auch schon diese Wirkung?

2. Er war ein Ermutiger in der Gemeinde.

„Er hat mich oft ermutigt..“ schreibt der Apostel „..und wie viele Dienste er ´den Gläubigen` in Ephesus erwiesen hat, weißt du selbst am besten“ (Vers 18). Onesiphorus war niemand, der nur auf Listen geführt wurde. Er ließ es nicht dabei bewenden, Sonntags in den Gottesdienst zu gehen und in der Woche vielleicht sogar noch in die Bibelstunde.

Er hat in der Gemeinde mitarbeitet. Er war ein Ermutiger wahrscheinlich in Verbindung mit Besuchen. Sogar der Apostel Paulus bescheinigte ihm: „Er hat mich oft ermutigt!“ Aus einer lebendigen Beziehung zu Jesus Christus heraus konnte er sogar den Apostel ermutigen. Das war mehr als ein gut gemeintes „Kopf hoch!“ oder „Alles wird gut!“ Lassen wir uns vor einem Besuch ein Wort Gottes schenken, das wir dann vorlesen und seine Wahrheit bezeugen? - Gibt es bei uns auch solche, die es nicht dabei belassen Missstände zu kritisieren, sondern Niedergeschlagene, Kranke, Arbeitslose, Traurige zu ermutigen? Haben wir in rechter Weise Acht aufeinander? („Habt acht, ..., dass nicht in einem von euch ein böses, ungläubiges Herz sei, das im Begriff ist, von dem lebendigen Gott abzufallen!“ Hebräer 3,12) Sprechen wir gut übereinander und zueinander?

Merken wir uns auch: Er kümmerte sich, wie Jesus, um Einzelne (Nikodemus, Frau am Brunnen, Kranker am Teich, Lukas schrieb für Theophilus, Petrus - Kornelius, Philippus - Kämmerer etc.). Wir sind zu sehr an den Vielen interessiert und übersehen den Einzelnen! Auch wir können es lernen, wie Onesiphorus, solche zu werden, die Andere ermutigen und erquicken. Wie ermutigt, erquickt man jemanden? Durch ein freundliches Wort, eine ehrliche Anteilnahme, eine konkrete Einladung, eine kleine Aufmerksamkeit, ein Lächeln...

3. Er hielt treu zu Paulus und seinem Evangelium.

„Er hat sich nicht geschämt, zu mir zu stehen, obwohl ich ein Gefangener bin und in Ketten liege.“ (Vers 16) Der traurige Hintergrund für die besondere Erwähnung des Onesiphorus ist der Umstand, der in Vers 15 geschildert wird: „Du weißt ja (schrieb er an Timotheus), dass sich von mir alle abgewandt haben, die in [der Provinz] Asia sind, unter ihnen auch Phygellus und Hermogenes.“ Eine schier unglaubliche Feststellung. Paulus hatte schwere Zeiten durchzumachen. Vertraute Freunde ließen ihn im Stich. Nicht nur einige Kritiker, denen Paulus zu extrem war, sondern alle in der Provinz Asia, die bisher seiner Verkündigung und seinem Evangelium gefolgt waren, wandten sich von ihm ab. Natürlich sollte man sich nicht leichtfertig oder unüberlegt Feinde machen! Doch ein treuer Zeuge Jesu fordert die Feindschaft der Welt heraus.

Der bewegende Abschied der Ältesten der Gemeinde von Paulus in Milet (Apostelgeschichte 20,17) war vergessen. Er hatte ihnen gesagt, dass sie ihn nicht mehr sehen würden, da er mit Leiden und Gefängnis rechnete. Vergessen waren wohl auch die Warnungen, dass falsche Lehrer aus ihrer Mitte auftreten werden. Sie waren nicht achtsam gewesen, deshalb war dieses Verhalten ein Beweis für den geistlichen Niedergang, der unter ihnen einsetzte. - Zwei von denen, die sich von ihm abgewandt hatten, nennt er mit Namen. Das war nötig, da sie wohl führende Brüder waren, die ihren Einfluss dazu benutzten, die Gemeinde auf falsche Wege zu führen. Indem er ihre Namen nannte, entlarvte Paulus sie öffentlich. - Dass sie sich von Paulus abwandten, bedeutete nicht unbedingt, dass sie den christlichen Glauben total aufgegeben hatten, sondern dass sie nicht länger bereit waren, sich mit dem gefangenen Apostel in Rom zu identifizieren. Die Vorbehalte gegen Paulus mögen in seiner Person, seinen Lebensumständen oder in seiner Lehre ihre Ursache gehabt haben. Vielleicht lösten die Christen in Asien ihre Verbindung zu Paulus als sie erfuhren, dass er als Staatsfeind gefangen genommen worden war.

In krassem Gegensatz zu diesen Deserteuren stand Onesiphorus, der mit Paulus durch dick und dünn verbunden blieb. Seine Dankbarkeit dem gegenüber, der ihm zuerst von Christus erzählt hatte, brachte echte Solidarität hervor. Die Ketten des Paulus waren für Onesiphorus kein Grund auf Distanz zu ihm zu gehen, sondern sie waren für ihn ein Anreiz zum Handeln. Er war bereit, gegen den Strom der gängigen Meinung unter den Gläubigen zu schwimmen und machte aus seiner Wertschätzung des Paulus keinen Hehl. Nur weil er sich an das wahre Evangelium hielt, bekam er auch die Kraft, sein gefährliches Unternehmen durchzuführen.

4. Er reiste nach Rom und suchte Paulus im Gefängnis auf.

„Sobald er in Rom war, suchte er nach mir, und er gab nicht auf, bis er mich gefunden hatte.“

Wir müssen uns das vorstellen: Irgendwann wuchs in Onesiphorus der Gedanke: „Ich sollte den Apostel Paulus in Rom besuchen!“ Wahrscheinlich bewegte er dies einige Zeit im Gebet, besprach sich mit seiner Frau und seinen Geschwistern in der Gemeinde. - Hat ihn seine Frau spontan begeistert unterstützt? Vielleicht ja, vielleicht aber dachte sie auch im Stillen: „Wieder so eine von seinen verrückten Ideen!“ - Onesiphorus war offenbar ein wohlhabender Mann. Jedenfalls beauftragte er jemanden mit seinen Geschäften (für mindestens 1 Jahr), rüstete sich für die Reise (Geld) und machte sich auf den Weg (hin und zurück ca. 4 000 km). Und Onesiphorus zeigte Ausdauer. Er war viele Monate unterwegs. Vielleicht dachte er manchmal: „Ist das wirklich mein Auftrag? Oder habe ich mich verhört? Sind die Strapazen nicht zu groß? Lohnt sich der Aufwand?“ - Obwohl wir Jesu Treue über Jahre hin erfahren haben, beschleichen uns, wenn wir in eine Krise geraten, manchmal trotzdem Zweifel an Seiner Liebe.

In Rom angekommen ging die Suche erst richtig los. Jetzt wurde es auch gefährlich. Denn die von Nero gegen die Christen eingeleitete Verfolgung wurde erbittert durchgeführt. Es gab viele Tausende Gefangenen in den Kerkern Roms, und wir können uns gut vorstellen, wie Onesiphorus Tag für Tag nach seinem Bruder Paulus suchte. (13-14-15-16) Er klapperte also ein Gefängnis nach dem anderen ab, um einen berüchtigten Staatsfeind zu finden.

Merke: Wenn du einen Auftrag des Herrn ausführen willst, dann erwarte nicht, dass du dieses Ziel schnell und leicht erreichen wirst. Der Herr mutet uns mancherlei zu, was wir vielleicht sogar für störend halten. Dadurch möchte Er uns lehren, Schritt für Schritt von Ihm abhängig zu bleiben. - Onesiphorus hatte offenbar keine Angst, oder wenn er welche hatte, überwand er sie. Er schämte sich auch nicht als Freund eines solch „gefährlichen Menschen“ zu gelten. Paulus attestierte ihm: „Er hat sich nicht geschämt, zu mir zu stehen, obwohl ich ein Gefangener bin und in Ketten liege.“

Endlich fand er Paulus und „erfrischte“ ihn, wie es wörtlich heißt. Womit? Mit seiner Gegenwart, dem mitgebrachten Essen und Trinken, ihren gemeinsamen Gebeten, etwas zu Lesen…!? Er besuchte Paulus dann gewiss eine Weile täglich und immer war der Wachposten dabei, an den der Apostel gekettet war. Was für Begegnungen und was für Gespräche müssen das gewesen sein! - Welch ein Einsatz! Er ließ sich diesen Ermutigungsdienst eine Menge kosten. Ich kenne Christen, die sind zu bequem oder zu faul, aufs Fahrrad, in den Bus oder ins Auto zu steigen, um einen Besuch zu machen (Römer 12,11).

5. Er wurde so zum Segen und kann Lohn erwarten.

„Möge seine Familie die Barmherzigkeit des Herrn erfahren! .. Wenn er an jenem großen Tag vor dem Herrn steht, möge dieser ihm Sein Erbarmen schenken!“ Durch die Hilfe, die Paulus durch Onesiphorus erhalten hatte, sah er sich nicht nur gedrängt, Gott Lob und Dank dafür zu sagen, sondern auch Fürbitte für Onesiphorus und seine Familie einzulegen. - Bist du dir klar darüber, dass dein persönliches Verhalten, dein Dienst für den Herrn, deine Haltung gegen die Sünde stets auch nicht zu unterschätzende positive oder negative Auswirkungen auf deine Familie hat? „Barmherzigkeit“ ist nach Matthäus 5,7 die Belohnung derjenigen, die barmherzig sind. - Mitleid kann unfruchtbar sein. Damit Barmherzigkeit daraus wird, muss sich dein Mitgefühl zu mitfühlendem Handeln weiterentwickeln. Zu oft bleiben wir in unserem Mitgefühl stecken und es kommt zu keiner lebensverändernden Tat.

„Jener Tag“ ist der Tag der Wiederkunft Jesu, an dem Er sowohl Gericht halten, als auch Seine treuen Nachfolger belohnen wird. Er belohnt jeden Becher Wasser und jeden Besuch. Auch dafür, dass wir uns nicht geschämt haben, sondern für den Herrn Jesus und unsere Mitchristen eintraten, verspricht Er uns eine Belohnung. Welch ein über alle Maßen wunderbaren Gott haben wir doch: Er belohnt uns für das, was wir uns von Ihm für andere schenken ließen und weitergaben. Denn nichts von all dem Guten ist sozusagen „auf unserem Mist gewachsen“. Wir haben uns nur Johannes 15,5 sagen lassen: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun.“ - Wenn wir uns das zu Herzen nehmen, werden wir sowohl Segen empfangen als auch für andere ein Segen sein!

 

 

Manfred Herold

Manfred Herold