Selbstannahme und / oder Selbstverleugnung

 

Selbstbewusste Menschen werden bewundert. Man möchte auch so sicher auftreten, so gut aussehen, so gewandt reden, so schlagfertig antworten können. Dabei wird oft übersehen, dass viele, die wir „selbstbewusst“ nennen, bei genauerem Hinsehen eher als rücksichtslos, karrierebesessen, frech und egozentrisch charakterisiert werden müssten. Das hat jedoch nichts mit Selbstbewusstsein zu tun, sondern eher mit maßloser Selbstüberschätzung.

Männer, die rücksichtslos Karriere machen, sind keine selbstbewussten Männer. Frauen, die ihre Frauenrolle vorwiegend aus ihrer Konkurrenz zum Mann definieren, sind keine selbstbewussten Frauen. Junge Leute, die überall meinen mitreden zu müssen und zu können, obwohl sie noch keine Lebenserfahrung und kaum Wissen gesammelt haben, sind nicht selbstbewusst, sondern in der Regel das Gegenteil.

Wie wird man denn nun zu einer Persönlichkeit und worauf kommt es dabei an? Ist das von Gott für Seine Kinder überhaupt gewollt und vorgesehen? Kann es einen „selbstbewussten Christen“ geben oder ist das ein Widerspruch in sich selbst?

1. Wie komme ich zu einer dankbaren Selbstannahme?

Auf dem Weg der „Selbstliebe“?

Es gibt Christen, die behaupten, Selbstbewusstsein sei auf dem Weg der Selbstliebe zu erhalten. Sie meinen, die Verse Matthäus 22,36-40 sprächen davon: „Lehrer, welches ist das größte Gebot im Gesetz? Er aber sprach zu ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand.“ Dies ist das größte und erste Gebot. Das zweite aber ist ihm gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“

Man nennt dies mittlerweile schon das „Gebot, sich selbst zu lieben“ (Trobisch). Hat die Gemeinde Jesu 2000 Jahre im Dunkel der Unwissenheit über die wahre Bedeutung dieser Verse gelebt? - Nein!

Weder hier noch sonst wo kennt die Bibel ein Gebot der Selbstliebe. Christus spricht hier klar von 2 Geboten (Vers 40). Da gibt es kein drittes Gebot. Der ganze Wille Gottes kann sozusagen an diesen 2 Haken aufgehängt werden: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten! Jesus setzt in diesen Versen eine Liebe zu sich selbst voraus. Er will sagen: „Du sollst deinen Nächsten so lieben, wie du dich normalerweise selbst liebst!“

Die Worte Jesu: „wie dich selbst“ haben es mit der Intensität, der Stärke der Liebe, nicht mit ihrer Richtung zu tun. Wenn uns geboten wird, unseren Nächsten zu lieben „wie uns selbst“, dann heißt das, ihn genauso von Herzen lieb zu haben, wie wir uns normalerweise selbst lieben.

Weil Gott mich angenommen hat!

Christen dürfen und sollen sich als einmalige Geschöpfe Gottes selbst bejahen. Das ist etwas völlig anderes als sich selbst zu lieben. Bei der Selbstbejahung geht es um bestimmte persönliche Eigenschaften, körperliche Merkmale, charakterliche oder sonstige Mängel etc. Es gibt z.B. viele Menschen, auch Christen, die es schrecklich finden, wie sie aussehen, dass sie eine Frau oder ein Mann sind, dass sie dick oder dünn sind, welche Bildung und welchen Beruf sie haben usw. Sie lehnen sich selbst ab, kritisieren in Wahrheit jedoch den Schöpferwillen Gottes.

Daraus folgt der nächste Punkt: Weil sie sich selbst nicht leiden können, leben sie in ständiger Angst, andere könnten sie auch nicht leiden! So fangen sie dann an, entweder eine Rolle zu spielen, sich hinter einer Maske zu verstecken, sich aus der Gemeinschaft zurückzuziehen, oder sie bemühen sich anderweitig aufzufallen, beachtet, ja vielleicht sogar gefürchtet zu werden, wenn sie schon keine Chance sehen, geliebt zu werden.

Die einzige echte Hilfe, die es angesichts dieses Dilemmas gibt, ist das Bewusstsein der vorbehaltlosen, bedingungslosen Liebe Gottes zu allen Menschen, - auch zu dir! ER nimmt dich so an, wie du bist. Wende dich deshalb an Ihn! Er will und kann dich von deinem Drehen um dich selbst erlösen! Deshalb können nur Christen, indem sie ihr Leben unter Gott führen, zu wahren Persönlichkeiten werden.

„Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden.“ (1. Johannes 4,10)

Das sollte sich dir ganz tief einprägen: Die höchste Autorität im Universum, der mächtigste Herr im Himmel und auf Erden sagt „JA“ zu dir. Nicht deshalb, weil Er dich für perfekt hält, sondern weil du Jesus als deinen Fürsprecher gefunden und angenommen hast. Er sagt „JA“ zu dir, weil Jesus sich für deine Sünde opferte und Er dich von aller Sünde befreien will und wird. Das ist unsere einzige Hoffnung!

„Deshalb nehmt einander an, wie auch der Christus euch angenommen hat, zu Gottes Herrlichkeit!“ (Römer 15,7)

Deshalb kann und soll der Christ „JA“ zu sich selber sagen. Egal, was andere Menschen von ihm denken, egal was seine Kollegen, Kumpel, Mitschüler, Freunde, Feinde von ihm halten, - Gott sagt, weil du „in Christus“ bist, „JA“ zu dir und das ist die Hauptsache! - Hast du IHM dafür schon gedankt?

Viele Christen sind z.B. der Überzeugung, dass ihre Beziehung zu Gott davon abhängt, wie sie sich verhalten oder was sie für Ihn tun. Deshalb versuchen sie, Gott zufrieden zu stellen. Sie strengen sich an, möglichst alles richtig zu machen und merken gar nicht, wie sie auf diesem Wege zu verkrampften Pharisäern werden. - Es gibt absolut nichts, was Gottes gute Meinung von dir ändern könnte, wenn du durch die Gemeinschaft mit Christus Sein Kind geworden bist! Die alles entscheidende Frage lautet also:

Will ich glauben, dass Gott mich angenommen hat?

Oder strafe ich Gott Lügen, indem ich es nicht glaube? Mein Stolz will sich Gottes Anerkennung und Liebe selbst verdienen. Es ist deshalb besonders schwer für mich, meine Fehler, meine Schwächen und meine Schuld zuzugeben. Aber Er kennt meine Macken seit langem ganz genau. Ihm sage ich nichts Neues. Aber für mich ist das Bekenntnis meiner Schuld die Absperrung der letzten Sackgasse, in die ich mich geflüchtet habe. Ich gebe meinen selbst behauptenden Stolz auf, wenn ich bekenne: „Ja, so bin ich!“ - Hast du das schon einmal getan?

Aber um so größer ist das Staunen, wenn mir neu aufgeht: „Er liebt mich dennoch! Er bleibt mir unerschütterlich zugetan.“ Deshalb kann ich auch allen meinen Macken und Fehlern den Abschied geben. Dankbare Selbstannahme kann nur auf dem Hintergrund der und im Vertrauen auf die Annahme Gottes geschehen. Unsere natürliche Selbstliebe ist niemals rein und unschuldig, sondern von jeglicher Form des Egoismusses, Stolzes und Eigenwillens befleckt. Deshalb ist sie nicht ausreichend, um zu einer dankbaren Selbstannahme zu kommen. - Ich bin Gott dankbar, dass Er mich liebt so wie ich bin und will Ihm vertrauen, dass Er mich nicht so lässt, wie ich bin!

2. Was ist unter einer gesunden Selbstverleugnung zu verstehen?

Was nicht darunter zu verstehen ist.

Aus dem bisher Gesagten folgt, dass mit Selbstverleugnung keine Selbstablehnung gemeint sein kann. Auch wird hiermit dem berechtigten Wunsch nach Anerkennung und Lob keine Absage erteilt. Selbstverleugnung verbietet auch nicht die Bildung eines gesunden Selbstbewusstseins. Sie ist auch kein dauerndes NEIN allen persönlichen Wünschen und Bedürfnissen gegenüber, kein passives Erdulden aller Ungerechtigkeiten, die uns angetan werden.

Womit es die Selbstverleugnung zu tun hat.

„Dann sprach Jesus zu Seinen Jüngern: Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach!“ (Matthäus 16,24)

Das Wort „verleugnen“ kann auch mit „ablehnen, verweigern, sich lossagen“ übersetzt werden. Wovon sollen wir uns denn lossagen? In der Selbstverleugnung sollen wir unseren Egoismus und seine Früchte zurückzuweisen. Hier geht es um die Motive unseres Tuns und Lassens. Hier wird uns hoffentlich auch klar: Die Selbstverleugnung ist keine Augenblicksache. In keiner Phase des Christseins kann man darauf zurück sehen, wie auf etwas, das man schon hinter sich hat. Es ist eine Frage des Lebensstils und der Lebenseinstellung. - Wie steht es damit bei dir?

Was macht uns in unserem innersten Kern aus? Was bewegt uns zum Reden oder Schweigen? Hier regiert auch bei vielen Christen noch der fromme Egoismus und nicht, wie sie vielleicht meinen Christus oder Sein Heiliger Geist. Oft dient Christus nur als fromme Tarnkappe für das Ich, das sich darunter voll auslebt und auch unsere besten Taten und Worte verdirbt.

Es besteht die Möglichkeit, dass man Pastor wird, dass man in der Gemeinde mitarbeitet, dass man sich voll einsetzt, dass man im Lobpreisteam mitsingt usw., weil man auf diesem Wege Ansehen, Ehre, Anerkennung, Dank und Lob, d.h. Streicheleinheiten für sein Ich einheimsen will. Aus diesen Motiven heraus zu dienen, heißt nicht Gott, sondern SICH SELBST zu dienen. Der Stellenwert von Überlegungen wie „Was habe ich davon?“ - „Sagt mir das zu oder nicht?“ - „Komme ich da vor oder nicht?“ - „Gefällt mir das?“ entlarvt ein gefährlich egozentrisches Denken. - Jeder prüfe sich selbst!

Besonders deutlich werden Motive in Prüfungen getestet. Wenn ich beleidigt wurde, wenn ich nicht beachtet wurde, wenn mir nicht gedankt wurde, wenn der Dienst nicht geschätzt wird, wenn mir etwas weggenommen wurde (alles Punkte, welche das Leben Jesu prägten) … - wie reagiere ich? Meinem alten Ich entsprechend? Der mich umgebenden Welt entsprechend? Mit Gejammer? Mit Anklagen? Mit Drohungen?

Oder, bleibe ich, indem ich mein Ego verleugne, auf meinem Posten, auch wenn ich Widerstand und Widerspruch erlebe oder enttäuscht wurde? Hier wird deutlich, ob ich Gott diene, oder ob es mir nur um mich selbst geht. („Das lasse ich nicht mit mir machen!“ „Das geht zu weit!“ Solche Haltungen gilt es zu verleugnen!)

Jesusnachfolge heißt Selbstverleugnung. Es gilt in jeder Lage den tief verwurzelten Egoismus zurückzuweisen und der Ichbehauptung und Ichbefriedigung, der Befriedigung des Machttriebes oder des Lusttriebes oder eines anderen Triebes die Herrschaft zu entreißen.

Wozu ist die Selbstverleugnung nötig?

Selbstverleugnung ist nötig, um dem Heiligen Geist Platz zu machen. „Niemand kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird einem anhängen und den anderen verachten.“ (Matthäus 6,24)

Wir verleugnen unser Ich-zentriertes-Wesen und unsere sündhafte Vergangenheit. Wir distanzierten uns in der Taufe grundsätzlich von allem, was zu diesem alten Wesen gehört, zu unserem Ich, dem Eigensinn und dem Egoismus. Und wir verleugnen täglich und stündlich unser Ich in unserem Alltag. Alles Eigenleben im Sinne von „alles für mich“ und „ich immer zuerst“ verleugnen wir. Das macht uns gemeinschaftsfähig. - Deshalb muss Selbstverleugnung immer weiter geübt werden. Sage bewusst „JA“ dazu!

Im Gegenzug lassen wir uns vom Heiligen Geist erfüllen. (Epheser 5,18 „Werdet mit dem Geist erfüllt!“) Er soll jetzt unser Herrscher sein. Er macht uns zu starken Persönlichkeiten.

„Petrus aber und Johannes antworteten und sprachen zu ihnen: Ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott, urteilt ihr! Denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden.“ (Apostelgeschichte 4,19-20) „Petrus und die Apostel aber antworteten und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen.“ (Apostelgeschichte 5,29)

Dazu müssen wir unser Ich, das immer nur sich selbst zu verherrlichen sucht, entthronen. Das geschieht anfänglich in der Taufe. Wir richten unser Leben jetzt auf Jesus Christus aus. Er ist jetzt unser Lebensmittelpunkt. Er ist unsere Lebensmitte, weil sowohl Er das will, als auch wir das wollen. Wir glauben der Bibel, dass es so richtig ist. Nur so kommen wir unserer eigentlichen Berufung nach „Menschen Gottes“, „Licht und Salz“ für andere zu sein.

Wir leben nicht mehr uns selbst. Wir leben nach dem Vorbild und durch die Kraft Christi ein Leben für andere und finden darin selbst die allergrößte Erfüllung, und zwar nicht, weil wir sie für uns suchen, sondern weil wir sie nicht mehr suchen, sondern einfach für Jesus leben und Ihm vertrauen, dass Er für uns das Beste will. So bewahrheitet sich in unserem Leben, was Jesus gesagt hat: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden.“ (Matthäus 16,25)

Selbstachtung ist möglich, insofern wir unser Leben von Christus her definieren, Seine Kraft für unsere Kraft ansehen und immer konsequenter mit Ihr rechnen lernen. Aber jetzt steht nicht mehr unser Ich im Mittelpunkt unserer Selbstachtung, sondern Christus, der durch Seinen Heiligen Geist in uns wohnt. Wir leben nicht mehr für uns und auf uns und unsere Bedürfnisse ausgerichtet, sondern auf Christus und auf Seinen Willen.

Darin sehen wir den Sinn unseres Lebens und deshalb leben wir selbstbewusst und können erhobenen Hauptes durchs Leben gehen. Aber das ist der eigentliche Unterschied: Wir sind nicht groß in und durch uns selbst, sondern in und durch Christus, der unser Leben ist. Wir achten uns und andere Menschen hoch, weil wir in uns und in ihnen Objekte der Liebe und des Wohlwollens Gottes sehen.

 

 

Manfred Herold

Manfred Herold