„...UND FÜHRE UNS NICHT IN VERSUCHUNG...“

Wir leben heute gefährlich. Den meisten Menschen ist das wohl bewusst. Viele verschiedene Gefahren bedrohen uns, angefangen von den Risiken im Straßenverkehr, über die Vergiftung unserer Lebensgrundlagen, bis zu den Gefahren eines Terroranschlags. Unsere Gesundheit ist bedroht, unsere Arbeitsplätze, unsere Familien und Ehen sind bedroht - der Gefahren sind unzählige. Diese Gefahren für Leib und Leben abzuwenden ist bei vielen Zeitgenossen das einzige, was zählt.

Aber kennen wir die schlimmste Gefahr, der wir alle ausgesetzt sind? Ist es nicht eigenartig, dass in unserer Zeit, die wie kaum eine andere sensibel wurde für die Gefahren, die unserem Leben drohen, DIE Gefahr, DIE Wurzel, DER gemeinsame Nenner alles Bösen - der Teufel - als nicht vorhanden, als Hirngespinst oder als Instrument frommer Unterdrückung hingestellt wird?! Dass sogar viele, die sich bewusste Christen nennen, die Existenz des Teufels rundweg leugnen?

Nein, es ist keineswegs verwunderlich, sondern offenbart lediglich die Raffinesse Satans, mit der er die Menschen in all ihrem Idealismus, Humanismus und sozialem Engagement an der Nase herumführt, indem er ihnen den wahren Urgrund alles Bösen vernebelt und so ihre Bemühungen zur Überwindung des Übels in der Welt wirkungslos macht. Die menschliche Existenz ist nicht nur eine verschuldete, sondern immer auch eine angefochtene. In der Vergebung macht Gott uns von unserer Vergangenheit frei, indem Er uns ihre Lasten abnimmt. Mit dieser Bitte rufen wir Ihn um Seinen Beistand an, damit wir das neue, von Gott geschenkte Leben der Vergebung gegen alles und alle, die es uns streitig machen wollen, festhalten können. (Luther soll gesagt haben: „Mit der 5. Bitte lege ich mich schlafen, mit der 6. Bitte stehe ich auf!“) Für Christen besitzen die Fragen nach Gott und den Engeln, sowie nach Satan und seinen Helfern einen solchen Realitätsrang, dass sie zu den eigentlichen Lebens- und Schicksalsfragen werden. Deshalb bitten wir auch:

UND FÜHRE UNS NICHT IN VERSUCHUNG

Ein Christ befindet sich, solange er auf dieser Erde lebt, in „Feindesland“. Satan, der Fürst dieser Welt, ist zwar gerichtet (Johannes 16,11), aber das Urteil ist noch nicht vollstreckt. So versucht er auf alle möglichen Arten und Weisen diejenigen, die ihr Leben einmal Jesus Christus anvertraut haben, wieder für sich zu gewinnen (1. Petrus 5,8). Er befiehlt nicht wie ein Tyrann befiehlt. Meist lockt er auch nicht, wie man einen Vogel lockt. Am häufigsten ködert er die Menschen. Er hat ein unerschöpfliches Arsenal von Dingen, die er uns als Köder vor die Nase hält. Bei Kain war es die Eifersucht, die ihn übermannte. Bei Achan war es eine Stange Gold, der er nicht widerstehen konnte. Bei Simson war es eine Frau, die ihm die Augen aus stach. Bei Absalom war es eine Königskrone, die er sich so sehnlich wünschte.

Diese Versuche Satans, uns von Gott wegzuziehen, erleben wir als „Versuchungen“. Dabei knüpft er sowohl bei unseren Stärken, als auch bei unseren Schwächen an; sowohl bei unseren Trieben, als auch bei unseren Idealen; sowohl bei unseren Wünschen, als auch bei unseren Abneigungen; sowohl bei guten, richtigen und schönen, als auch bei bösen, falschen und hässlichen Dingen. Entweder will er uns stolz, hochmütig und selbstsicher oder niedergeschlagen, deprimiert und ängstlich machen. Durch all das will er uns von Gott weglocken.

Aber Gott sieht dem nicht tatenlos zu. Die übliche Übersetzung dieser Bitte des „Vater-unsers“ könnte den falschen Eindruck erwecken, als ob Gott uns in solche Situationen bringen würde. Das ist falsch! (Jakobus 1,13f) Gott verführt niemanden zum Bösen. Die Bitte sollte besser übersetzt lauten: „Lass uns nichts zur Versuchung werden!“ Es ist eine Bitte um Bewahrung. Nichts, was vom Bösen an uns herangetragen wird, soll eine solche Anziehungskraft auf uns ausüben können, dass wir uns von Gott abwenden. Dabei beachten wir: Versuchungen sind noch keine Sünde! Erst wenn wir der Versuchung nachgeben, geraten wir in Sünde. Jesus betete in Johannes 17,15: „Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt hinwegzunehmen, sondern sie vor dem Bösen zu behüten.“ Das ist unsere Situation. Wir werden in der Regel nicht VOR den Versuchungen bewahrt, Gott will uns aber entweder AUS den Versuchungen retten oder IN den Versuchungen bewahren.

Das bedeutet: Jesus erspart uns das Leid nicht, ABER Er ist im Leid an unserer Seite. Er befreit uns nicht von den Lasten des Lebens, ABER Er hilft uns tragen, oder Er nimmt sie nach einiger Zeit weg. Er bewahrt uns nicht vor jeder Krankheit, ABER Er hilft uns, sie durchzustehen, oder Er heilt uns zu seiner Zeit! (1. Korinther 10,13) Gott lässt die Versuchungen zu. Aber während uns Satan dadurch von Gott wegziehen will, gebraucht der Vater auf der anderen Seite dieselbe Versuchung als Prüfung, durch die Er die Qualität unseres Glaubens, unserer Treue, unserer Liebe zu Ihm testen und verbessern will (1. Mose 22,1). So können wir feststellen: In dem Maße, wie Satan mit jeder Versuchung etwas Böses im Schilde führt, will Gott etwas Herrliches erreichen. In dem Maße, wie der Böse uns verwirren, in Verzweiflung stürzen und ruinieren möchte, will Gott uns stärken, getroster machen und befestigen. Und je mehr wir im Gebet mit Gott verbunden bleiben, desto widerstandsfähiger werden wir den Angriffen Satans gegenüber.

Es ist nun einmal so, dass sich erst im äußersten Gefordert-sein unser wahres Wesen deutlich zeigt. So finden wir ja auch nirgends deutlicher, größer und überwältigender das Wesen Jesu geoffenbart, als auf Golgatha.

SONDERN ERLÖSE UNS VON DEM BÖSEN

Diese 7. Bitte ist eine Bitte um Erlösung und die konsequente Weiterführung der vorhergehenden. Es geht dabei nicht um irgendein Prinzip, nicht um eine abstrakte Idee des Bösen, es geht um eine Person: Satan, den Widersacher Gottes (Epheser 6,12).

Unsere Zeit hat es wohl auf der einen Seite besonders schwer, die personale Existenz des Teufels ernst zunehmen, auf der anderen Seite gab es wohl noch nie so viele Menschen, die mit den Stricken des Feindes, wie Wahrsagerei, Horoskopgläubigkeit, Handlinienlesen, Spiritismus, okkulte Heilmethoden wie Besprechen, Irisdiagnose, Homöopathie, Fußreflexionsmassage, bependelte Arzneien usw. gefesselt waren, wie heute.

Und auch wir Christen „glauben“ ja nicht an den Teufel; denn „glauben“ hat es immer mit „vertrauen“ und „sich anvertrauen“ zu tun, aber wir wissen um die reale Existenz des großen Durcheinanderwerfers. Viele halten solch ein Reden vom Teufel für ein mittelalterliches Relikt und sind stolz darauf, dass bei ihnen die „Sicherungen des Intellekts“ noch funktionieren. - Aber es ist für unsere Auseinandersetzung mit dem Feind entscheidend wichtig, dass wir erkennen: Hinter allen Versuchungen steht DER Versucher, hinter allen Lügen steht DER Lügner, hinter allem Blutvergießen steht DER Mörder von Anbeginn (Johannes 8,44). Deshalb entschuldigen wir uns nicht, wenn wir vom Teufel reden, sondern tun es ohne Scheu, um ihm so seine Tarnung zu entreißen, und seine beste ist ja von jeher die Leugnung oder der Zweifel an seiner Existenz. Satan steht in jeder Beziehung im Widerspruch zu Gott, dem Heiligen Geist:

Der Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit (Johannes 14,17), der Teufel ist der Geist des Irrtums und der Lüge (1. Johannes 4,6; Johannes 8,44) Der Heilige Geist ist ein lebenspendender Geist (1. Korinther 15,45), der Teufel ist ein Mörder von Anfang an (Johannes 8,44). Der Heilige Geist ist ein heiligender Geist (Römer 1,4), der Teufel ist der Ursprung alles Unreinen und Bösen (Matthäus 6,13; Lukas 11,24). Der Heilige Geist ist unser Helfer (Römer 8,26), der Teufel ist unser Widersacher (1. Petrus 5,8). Der Heilige Geist ist unser Tröster und Fürsprecher (Johannes 14,16), der Teufel ist unser Verleumder (Hiob 1,9-11) und Verkläger (Offenbarung 12,10). Der Heilige Geist verleiht dem Menschen Ausdrucksfähigkeit (Apostelgeschichte 1,8), der Teufel macht ihn stumm (Markus 9,17). Wenn wir heute diese Bitte vor den Vater bringen, sind wir in einer ungleich besseren Situation als die ersten Beter damals, weil Jesus auf Golgatha den Hauptkampf mit dem Feind bereits gewonnen hat. Der Feind IST entlarvt, er IST besiegt, er IST überwunden, seine Macht IST gebrochen. Das Urteil ist aber noch nicht vollstreckt, das kommt noch (Offenbarung 12,10; 20,10). Er sitzt sozusagen in „Untersuchungshaft“ und versucht von dort aus, durch seine Helfershelfer weiter seine dunklen Machenschaften zu treiben. Es sind Nachhutgefechte, die er liefert, es ist ein verzweifeltes letztes Aufbäumen. Er will noch so viele Menschen wie möglich mit sich in den Abgrund reißen.

Aber selbst bei Christen, die mit der Existenz des Teufels rechnen, finden wir oft eine bemerkenswerte Blindheit angesichts der Realität des geistlichen Kampfes und der Taktiken des Feindes. Man hat manchmal den Eindruck, dass ein Großteil dieses Kampfes der Gemeinde heute von Soldaten mit verbundenen Augen geführt wird, die nicht in der Lage sind, die Kräfte zu erkennen, die gegen sie gerichtet sind, und die deshalb laufend von ihren unsichtbaren Gegnern geschlagen werden. Darauf reagieren sie dann oft so, dass sie anfangen blindlings aufeinander einzuschlagen. Das ist sicherlich die Hauptursache für die häufig auftretende Bitterkeit, den Groll, die Unversöhnlichkeit, das Misstrauen und die Feindschaft innerhalb der christlichen Gemeinde: Wir stehen unter Beschuss aus der unsichtbaren Welt der widergöttlichen Mächte und Gewalten. Aber weil wir den eigentlichen Ursprung und die Absicht dieser Angriffe nicht durchschauen, greifen wir in unserer Frustration sichtbare Ziele, d.h. unsere Nächsten an. Jeder, der heute dieser guten Nachricht vom Sieg Jesu glaubt, darf sich in seiner Auseinandersetzung mit Satan und seinen Helfern im Gebet auf dieses von Jesus erstrittene „rechtskräftige Urteil“ berufen und erfahren, dass „im Namen Jesu“ d.h. im Sich-berufen auf Ihn, Kraft liegt, der kein Feind gewachsen ist (Jakobus 4,7-8).

Sei deshalb kühn in deinem Gebetsleben, aber nicht dreist oder hochmütig. Setze deine Vollmacht wie ein Verwalter als eine dir übertragene Autorität mit Eifer, doch ohne Anmaßung ein. Sei bereit, dir den geistlichen Kampf als einen Lebensstil anzueignen und nicht nur als eine Lehre. Wir können niemanden in diesen Auseinandersetzungen gebrauchen, der sonntags voller Begeisterung mit einem „Halleluja“ auf den Lippen die Festungen der Hölle angreifen will, am Dienstag jedoch schon keine Lust mehr zum Kämpfen und Beten hat. Hier ist deine und meine anhaltende Treue gefragt. Epheser 1,19-23: „Er (d.h. der Vater) hat alles unter Seine (Christi) Füße getan.“ Füße sind Glieder des Leibes, d.h. Seiner Gemeinde. Jesus hat also die „Mächte und Gewalten“ zu dem Zweck besiegt, damit die Glieder Seiner Gemeinde schon hier in dieser Zeit nicht länger unter der Tyrannei des Bösen leiden müssten. Wir sollten unsere einzigartige Stellung, die uns Jesus erworben hat, kennen und sie zu Seines Namens Ehre und Verherrlichung in froher Dankbarkeit einnehmen und in der uns verliehenen Vollmacht beten. Der Sieg beginnt mit dem Namen Jesu auf unseren Lippen; er wird jedoch erst vollendet, wenn wir in unserem Herzen wie Jesus werden.

Die Erlösung besteht also nicht in der Bewahrung vor der Versuchung, sondern in ihrer Überwindung. Und zu solch einem Überwinder kann und will Jesus auch dich machen (Johannes 16,33; 1. Johannes 5,4-5).

Manfred Herold

Manfred Herold