„...UND VERGIB UNS UNSERE SCHULD...“

Manchmal wird Christen vorgeworfen, sie hielten sich für etwas Besseres. Das mag zwar leider vorkommen, hat aber keinen realen Hintergrund. Christen sind nicht besser als andere Menschen, sie sind nur besser DRAN als die anderen, weil sie Vergebung ihrer Schuld empfangen haben.

Zum Glück kann jeder diese Entlastung von Schuld und Sünde erleben, wenn er die rettende Hand Gottes, die sich ihm in Jesus Christus entgegenstreckt, ergreift. Plötzlich wird ihm dann bewusst, dass die ihn bisher beunruhigende Schuld von Jesus am Kreuz getilgt wurde. Aus Freude darüber und aus Dankbarkeit dafür schenkt er sein Leben Jesus Christus und wird so ein Christ. Unter dem Vorzeichen der Vergebung beginnt für ihn ein neues Leben in der Gemeinschaft mit Jesus Christus und seiner Gemeinde.

Wie die leibliche Existenz der Jünger erst durch die Erfüllung der 4. Bitte („unser täglich Brot gib und heute“) möglich ist und erhalten wird, so die geistliche erst durch die Erfüllung der 5. Bitte:

UND VERGIB UNS UNSERE SCHULD

Sünde ist Leben in Eigenregie, außerhalb der guten, bewahrenden Ordnungen Gottes (1. Johannes 3,4). So tief ist der Mensch gesunken: Er glaubt es Gott nicht mehr, dass Dieser es gut mit ihm meint. Deshalb nennt Jesus den Unglaube die Sünde (Johannes 16,9).

Weil nun das angeborene Misstrauen gegen Gott, unsere Hauptsünde ist, passiert es auch einem Jünger Jesu leider hier und da, dass er ganz unbewusst eine Mauer, die ihn von Gott trennt, um sich herum errichtet. Er will sich zwar nicht bewusst von Gott abwenden, aber Stolz, Eigenwille, lieblose Kritik, Lüge, Geiz, Neid usw. bilden solch eine Mauer und machen es Gott schwer oder gar unmöglich, ihm wohlzutun.

Gott straft also nicht nur WEGEN der Sünde, sondern auch DURCH die Sünde. Du wirst zu dem was du wählst, womit du Umgang hast. (Wenn du mit Mehl umgehst, wirst du weiß. Wenn du mit Ruß umgehst, wirst du schwarz. Wenn du mit der „Welt“ umgehst, wirst du weltlich. Wenn du mit dem Geist „umgehst“, wirst du geistlich.) Jeder erlebt es: Du wolltest unbedingt einen bestimmten Weg gehen, jetzt musst du ihn gehen. Du wolltest dir selbst und deinen Plänen leben, jetzt musst du dir selbst leben und kannst dem nicht entrinnen.

Es ist daher einfach ein Kurzschluss, zu meinen, wer die Brotfrage zu lösen vermag, habe damit das Hauptproblem der Menschheit bewältigt. Die heute so viel diskutierte „Qualität des Lebens“ ist nur zu einem geringen Teil von äußeren Werten abhängig. Weit wichtiger, als selbst viele Christen erkennen, ist die Sündenvergebung.

UND VERGIB UNS UNSERE SCHULD

Eine große Anzahl von Christen legen jedoch ein seltsam passives Verhalten ihren Sünden gegenüber an den Tag. Dabei registrieren sie die Schuld ihrer Mitmenschen äußerst aufmerksam. Manchmal scheint es, als hielten sie ihre Sünden für etwas Unabwendbares, Schicksalhaftes. Dabei ist sie doch so gefährlich und auch zu überwinden: 1. Johannes 3,8+5

Lassen wir den Heiligen Geist seine Arbeit tun, uns unsere Sünden zu zeigen? (Johannes 16,8) Viele Christen suchen heute im Zusammenhang mit dem Heiligen Geist allerlei große und wunderbare Erfahrungen, - aber tiefere Sündenerkenntnis durch das Wirken des Heiligen Geistes wird selten oder kaum erwartet. Dabei habe ich den Eindruck, dass ein tieferes Erschrecken und Weinen über unsere Sünde heute viel deutlicher auf ein echtes Wirken des Heiligen Geistes hinweisen würde, als emotional überhitzte Jubelveranstaltungen. (Keine Erweckung ohne Ernstnehmen der Sünde.)

Lassen wir uns doch, indem wir unsere Schuld bekennen und Jesus um Reinigung bitten, die Sünden abnehmen und die Mauer, welche Seinen Segen aufhält, einreißen (1. Johannes 1,9)! Dann kann Seine Liebe, Seine Güte und Barmherzigkeit uns wieder erreichen, uns froh und brauchbar machen. Die Sünde fordert Gericht (=Scheidung) heraus (1. Petrus 4,17). Christen steht der Weg des Selbstgerichts offen, d.h. sie sollen ihre Sünden selbst beim Namen nennen, bekennen und um Vergebung und Reinigung bitten (1. Korinther 11,31).

„Schulden“ sind aber nicht nur die aktiven Verstöße gegen Gott, sondern auch das, was wir Gott und den Menschen schuldig geblieben sind, was wir versäumt oder unterlassen haben. Das Versäumnis, Gott nicht geehrt und ihm nicht angemessen gedankt zu haben, ist die Grundschuld aller Menschen (Römer 1,21). Hier sollte sich im Leben eines jeden Christen die erneuernde Kraft der Vergebung besonders deutlich zeigen, indem er - je länger, je mehr - Gott durch frohen Gehorsam, Glauben und Vertrauen ehrt und Ihm für alle empfangenen Wohltaten von Herzen dankt.

Und unseren Mitmenschen gegenüber? Wie viele Hilferufe haben wir überhört?! Wie viele Wunden übersehen?! Wie viel Not nicht abgewendet?! Wie viele Ängste ließen uns unberührt?! Wie vielen blieben wir das Zeugnis von Jesus Christus schuldig?! Wie viele haben wir nicht aufgenommen, nicht gespeist, nicht besucht?! Wird Jesus einst auch zu uns sagen müssen: Matthäus 25,42-45? Hier brauchen wir Vergebung, deshalb bitten wir:

UND VERGIB UNS UNSERE SCHULD

Vergebung verlangt Stellvertretung! Gott konnte nicht einfach ein Auge zudrücken und unsere Sünden übersehen. Er nahm unsere Sünde so ernst, dass Er in Jesus Selbst nach Golgatha ging, um zu sterben. Er nahm aus Liebe unsere Stelle ein, indem Er Seinen Zorn über unsere Sünde Selbst trug. Das ist der Preis der Vergebung, und jedes mal, wenn wir an die Leiden und das grausame Sterben unseres Herrn denken, sollte unsere Abscheu vor der Sünde zunehmen, deren Tilgung solch einen Preis erfordert hat.

Einige Beispiele sollen uns den Grundsatz der Stellvertretung verdeutlichen: Wenn ich deine schöne chinesische Blumenvase versehentlich umstoße und sie geht dabei kaputt und du vergibst mir, hast du den Schaden, und ich gehe frei aus. - Wenn der Staat einen Verbrecher begnadigt, trägt das Volk stellvertretend die Last des Verbrechens. - Wenn ich dir etwas Schlechtes nachsage und du vergibst mir, gehe ich frei aus, und du musst dich mit den Folgen meiner Sünde abfinden.

Deshalb ist wirkliche Vergebung so selten? Weil sie so teuer ist. Diese Stellvertretung fand in Jesus Christus ihren vollkommenen Ausdruck. Gott will nun jedem, der sich zu seiner Schuld bekennt (auf andere Art und Weise ist der Sünde nicht beizukommen) und zu Jesus bittend kommt, Vergebung, Befreiung und Freiheit schenken (Psalm 32,3-5). Wer um Vergebung bittet, bekennt sich schuldig und nur ein Schuldiger kann Vergebung und Gnade empfangen. So ist und bleibt Jesus ein Heiland NUR FÜR DIE, welche Ihn nötig haben, ein Retter NUR FÜR SOLCHE, die ihre Verlorenheit sehen, ein gnädiger Gott NUR FÜR DIEJENIGEN, die schuldig sind.

WIE AUCH WIR VERGEBEN UNSERN SCHULDIGERN

Wir wollen jetzt noch die Verpflichtung betrachten, die jedem aus empfangener Vergebung erwächst. Zuerst sehen wir uns den Text genau an. Jesus lehrt uns beten: „Vergib uns, wie auch wir vergeben..“ - nicht: „Vergib uns, weil auch wir vergeben..“ Hier ist keine Aufrechnung denkbar, kein Anspruch, den wir geltend machen könnten. Es wird lediglich die Tatsache ausgedrückt: Nur ein Mensch, der zur Vergebung bereit ist, sucht und empfängt seinerseits Gottes Vergebung.

Dies ist eine äußerst ernste Tatsache, an der es nichts zu rütteln gibt, wo Gott auch keine Ausnahmen zulässt. Gott will um Jesu willen gern vergeben! WOLLEN wir das auch? Viele sagen hier „JA, ich will auch vergeben!“ fügen dann aber hinzu: „Aber ich KANN nicht, weil.....!“ Und es folgen dann zumeist scheinbar gute Gründe, die erklären sollen, weshalb sie nicht vergeben können. Auch hier wird deutlich, dass vielen Christen der hohe Stellenwert ihrer Willensentscheidung überhaupt nicht bewusst ist. Denn zumeist müsste die zutreffende Erklärung lauten: „Ich WILL nicht, weil...!“

Zu häufig lassen wir unsere verletzten Gefühle und unsere negativen Erfahrungen über unseren Willen herrschen und so KÖNNEN wir nicht, was wir SOLLEN. Wir müssen es lernen, im Vertrauen auf Gottes Hilfe das zu WOLLEN, was wir SOLLEN. Deshalb sprich: ICH WILL DEM ANDEREN VERGEBEN! Wenn du im Vertrauen auf Jesu Erlösungswerk das willst, was Gott will - wirst du es erleben, dass du KANNST, was du SOLLST, nämlich Anderen vergeben. Bitte Jesus darum, durch Seinen Geist in dir die Vergebungsbereitschaft, die Er haben will zu wirken. Denn wenn du auf Dauer nicht vergeben WILLST, KANN Gott auch dir nicht mehr vergeben!

Ein Christ, der anderen nicht vergeben will, sie nicht aus ihrer Schuldverhaftung freilassen will, ihre Sünden nicht loslassen und vergessen will, bringt sich damit selbst um die Vergebung. Mit den Sünden anderer hält man immer auch die eigenen fest. Gott will uns entweder alle Sünden abnehmen, d.h. unsere und die der anderen, oder wir behalten alle.

Solche Leute behandelt Gott „gerecht“, denn wer nicht vergibt, darf nicht auf Vergebung hoffen (Matthäus 18,23,f), wie jemand richtet, wird er gerichtet werden (Matthäus 7,1f), wer reichlich gibt, wird reichlich empfangen, mit dem Maß, mit dem einer misst, wird er gemessen werden (Lukas 6,38), wer barmherzig ist, wird Barmherzigkeit empfangen (Jakobus 2,13).

Das Evangelium zeigt uns, dass dort die stärkste Liebe wächst, wo die meiste Vergebung in Anspruch genommen worden ist. (Lukas 7,47b) General Oglethorpe sagte einmal zu John Wesley: „Ich vergebe nie!“ Darauf John Wesley: „Dann kann ich nur hoffen, dass sie niemals sündigen!“ Vergebung empfangen wir unverdient als ein Geschenk, um es weiterzugeben. Denn wenn der große, heilige und gerechte Gott uns unsere Geringschätzung, unsere Undankbarkeit, unsere Rebellion, unsere Lügen, unsere Ablehnung Ihm gegenüber vergibt, können wir dann unseren Mitmenschen die Vergebung verweigern? Sollten wir uns nicht gerade in unserer Vergebungsbereitschaft als echte „Gottes-Kinder“ erweisen? Allein auf diesem Weg kann der Teufelskreis von Sünde und Schuld durchbrochen werden.

Welch ein Glück, welche Freude erfüllt unser Leben, wenn wir nicht nur selbst Vergebung empfangen haben, sondern auch andere freilassen, indem wir ihnen vergeben. Denn Vergebung ist wie ein Brückenbau. Wo Menschen einander Gottes Vergebung weiter schenken, da werden Brücken gebaut, Brücken des Vertrauens, Brücken der Liebe und der gegenseitigen Annahme. Da kann und wird Gemeinschaft entstehen und fruchtbringend wachsen.

Manfred Herold

Manfred Herold