„..UNSER NÖTIGES BROT...“

Dieses Gebet umfasst die denkbar größten und die denkbar kleinsten Dinge des Lebens. Wir werden hier angeleitet, sowohl um die Veränderung der Machtstrukturen in dieser Welt, als auch um unsere tägliche Brotration zu bitten. Aber beachten wir: Jesus hat diese Bitte weder an den Anfang noch an das Ende des „Vater-unsers“ gesetzt. Sie ist weder Ausgangspunkt noch Zielpunkt unseres Lebens.

Die drei ersten Bitten fordern dazu heraus, uns betend den großen Zielen Gottes in dieser Welt zu widmen: der Heiligung Seines Namens, dem Kommen Seines Reiches, der Durchsetzung Seines Willens. Im zweiten Teil des „Vater-unsers“ geht es um die innersten Grundfragen, die ein Menschenleben bewegen: um die Frage der Schuld, um Versuchung und Anfechtung. Dazwischen steht unsere 4. Bitte. Sie macht uns deutlich: Es gibt nichts, was wir unserem Vater nicht sagen dürfen. Er will jedoch, indem Er die drei ersten Bitten Sich und Seinen Anliegen vorbehält, unser Vertrauen und unsere Liebe zu Ihm prüfen. Nimmt Er wirklich den ersten Platz in unserem Leben und in unseren Gebeten ein? (Psalm 73,25) Dann dürfen wir auch bitten:

UNSER NÖTIGES BROT

Jesus lehrt uns, mit dieser Bitte um die Kleinigkeiten des Lebens zu bitten, um alles, was zu unserem Leben nötig ist. Heute meinen viele Menschen, man solle Gott doch nicht mit so vielen alltäglichen Anliegen, Nöten und Problemen in den Ohren liegen. Er könne sich doch unmöglich um all diesen „Kleinkram“ kümmern.

Jesus war offenbar anderer Ansicht und ermutigt uns in Seinem Lehrgebet ausdrücklich dazu. Gott nimmt uns in unserem Mensch sein, das nun einmal zum größten Teil aus einer Unsumme von „Kleinigkeiten“ besteht, ernst und möchte sich gerade in den kleinen Dingen als der große Gott erweisen. Gott will als Vater, der sich gerade auch in die vielen kleinen Dinge unseres Lebens hineinziehen lässt, ernst genommen werden.

Wer das nicht glauben kann, der schaue sich Jesus während Seines Erdenlebens an, wie Er sich mit Seiner ganzen liebenden Aufmerksamkeit den „Kleinigkeiten des Lebens“ widmete: Der Lähmung eines Gichtbrüchigen, der Müdigkeit Seiner Jünger, dem Hunger der Menschenmenge, dem Wein bei der Hochzeit... Er sprach eben nicht nur großartig vom „Reich Gottes“, sondern wusste, dass es die Kleinigkeiten des Lebens sind, die uns zermürben wollen, dass es die kleinen Sorgengeister sind, die uns ängstigen wollen, dass es die Routine des Alltags ist, die uns gleichgültig machen will. Von jeher waren es die so genannten „Kleinigkeiten“, wie die Liebe zu 30 Silberlingen (Matthäus 26,15), das Beschäftigt-sein mit 5 Joch eben gekaufter Ochsen (Lukas 14,19), der Appetit auf ein Linsengericht (1. Mose 25,30f), die Menschen je und je um ihre Ewigkeit und allen Segen brachten.

Wir leben eben in einer doppelten Beziehung: zu Gott hin und zur Erde hin - und deshalb trennt Gott auch Seelsorge und Fürsorge nicht voneinander. Er ist für alle Bereiche unseres Menschseins zuständig. Wir bringen Gott in der Regel mit dem Außergewöhnlichen in Verbindung, und unser „gewöhnliches Leben“ bleibt unversehens „gottlos“. Wir wollen gern das Außerordentliche für Gott tun und versäumen es dabei, unsere „normale“ Arbeit Ihm zur Ehre zu verrichten. Hierzu will uns dieses Gebet helfen.

Du magst noch so herrliche Ausgießungen des Heiligen Geistes in deinem Leben erfahren haben, wenn sie nicht in einem Leben des Gebets ihren Ausdruck und Niederschlag finden, wird ihr Segen bald entschwunden sein. Und eine Bewegung, die Gott ins Leben ruft, wird nur solange anhalten, solange der Geist des Gebets anhält, der sie entfacht hat. - Dein geistliches Leben reicht nicht tiefer, als dein Gebetsleben reicht und deine geistlichen Möglichkeiten sind nicht größer, als dein Gebetsleben ist. Ein Mensch ist in Wahrheit das, was er auf den Knien vor Gott ist, kein Stückchen mehr.

UNSER NÖTIGES BROT GIB UNS

Die 4. Bitte kann auch die politische Bitte genannt werden, denn zum täglichen Brot gehört auch Friede und Freiheit, eine gute Regierung, geordnete Finanzen, eine gesunde Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit. So beten wir in der 4. Bitte auch um versöhnungsbereite Tarifpartner, um Maß und Vernunft im Arbeitskampf, um eine gerechte Verteilung der Güter zwischen reichen und armen Völkern. Wir beten für den Schutz unserer Umwelt, um gesunde Luft, für saubere Gewässer. All diese Dinge heiligt Jesus, indem Er uns für sie beten lehrt.

Aber Er ordnet sie auch eindeutig dem Trachten nach dem Reich Gottes unter, und so allein erhält die Brotfrage für den Christen ihren wahren Stellenwert. Ein Christ, der die 4. Bitte des „Vater-unsers“ ernsthaft betet, sieht in der Nahrung, die er täglich zu sich nimmt, zugleich die Verpflichtung, Mitverantwortung für hungernde Menschen und unterentwickelte Völker zu übernehmen. Denn wer sich einmal klar zumachen versucht, dass in jeder Sekunde irgendwo in der Welt ein Mensch am Hunger oder an seinen Folgen stirbt und dass zwei Drittel der Menschheit sich nie satt essen können, der kann als Bürger eines Wohlstandslandes nicht mehr länger nur gedankenlos dahin leben und seine Wünsche immer höher schrauben. Mit dieser Erkenntnis beten und arbeiten wir. Denn Gott füttert ja niemanden mit dem Löffel. Wir beten, weil wir wissen, dass ohne Sein Schenken, sich niemand etwas nehmen kann (Haggai 1,6-7; Johannes 3,27), und wir arbeiten, weil wir wissen, dass Gott uns zur Erhörung unserer eigenen Gebete gebrauchen will.

UNSER NÖTIGES BROT GIB UNS HEUTE

Durch die Formulierung der Bitte lehrt uns Jesus, jeden Morgen für den bevorstehenden Tag zu bitten. Auch hierin war Jesus uns Vorbild. Wie oft lesen wir von Ihm, dass Er sich früh am Morgen zum Gebet zurückzog (Markus 1,35; Lukas 4,42; 6,12). Erbitte dir jeden Morgen, was du für den Tag nötig hast. Schon bei den Israeliten in der Wüste hatte Gott es nach dem Grundsatz eingerichtet: „Täglich, für des Tages Bedürfnis!“ (2. Mose 16,4) Was du am Morgen erbittest und empfängst, reicht für den Tag aus, aber eben nur für diesen. Diese Bitte ist ein Frontalangriff gegen alle Sorgengeister. Sie belasten den Menschen und machen ihn kaputt, gleichgültig, ob es sich dabei um Sorgen aus Mangel oder um Sorgen aus Überfluss handelt. Gewiss sollen wir Vorsorge treffen, haben eine Fürsorgepflicht, aber wir dürfen uns nicht vom Geist der Sorge um das tägliche Brot und die Sicherung der Lebenswerte bestimmen und beherrschen lassen.

Denn die Sorge hat die Eigenschaft, die Gedanken eines Menschen vollständig zu besetzen und zu blockieren, ihn in Depressionen zu treiben und innerlich aufzufressen. Das gilt für die leibliche und für die geistliche Versorgung, denn: Matthäus 4,4! DAS Wort Gottes ist Jesus Christus, das Brot des Lebens (Johannes 6,35). Er will sich gern jedem schenken, der Ihn erbittet und aufnimmt (Johannes 1,12). Frage: Tun wir das täglich? Ist uns bewusst, dass wir Jesus Tag für Tag nötiger als Brot haben? Wer sich nur an den Lebensmitteln orientiert und sich von der Sorge um ihre Beschaffung und Erhaltung aufzehren lässt, wird für Jesus, die Lebensmitte, für Sein vergebendes Wort und Sein helfendes Tun nichts übrig haben.

Wie viel Anstrengungen, Aufmerksamkeit, Zeit und Geld setzt der Mensch für sein leibliches Wohl ein. Wie viel mehr sollten wir für das einsetzen, was wir noch nötiger haben, - für Jesus?! Er will sich dir täglich schenken, damit du hast, was du brauchst und auch an andere weitergeben kannst. Denn mit Jesus ist es wie mit dem Brot: Wenn alle von dem, was sie haben, weitergeben würden, hätten bald alle genug! Gott möchte uns klarmachen: Deine Aufgabe besteht einzig und allein darin, JETZT Gott treu zu sein. Sorge dich nicht um morgen, lebe HEUTE mit Jesus und aus Seiner Kraft. So gibt uns ja auch das Wort, die geistliche Speise, keine Totalanweisung fürs gesamte Leben, es leuchtet unseren einzelnen Schritten (Psalm 119,105), die wir jetzt zu gehen haben, nur die nächsten Meter, ansonsten ist es ein Wandern im Dunkeln.

Gott will uns auf diese Weise das Bewusstsein unserer Abhängigkeit von Ihm stärken, uns aber gleichzeitig auf Grund der Überzeugung, dass der Vater für uns sorgt, froh und gelassen machen. A.T. Pierson, der Biograph Georg Müllers fragte ihn kurze Zeit vor seinem Tod, ob er jemals lange Zeit um etwas gebetet habe, ohne eine Antwort von Gott zu erhalten. Er erwiderte mit seiner üblichen Genauigkeit, er habe mehr als 65 Jahre und 4 Monate Gott um die Errettung von 2 Männern angefleht, die jedoch immer noch in ihren Sünden lebten. Aber er fügte hinzu: „Ich werde sie beide im Himmel wiedersehen. Mein himmlischer Vater würde mir nicht diese beiden Seelen so lange als Last auferlegen, wenn Er keine Gnadenabsichten mit ihnen hätte."

Er starb, ohne schauen zu dürfen, aber auch ohne Zweifel. Ein seltenes Beispiel eines Glaubens, der im Vertrauen auf den unveränderlichen Geber der Verheißungen ruhen konnte. Über 65 Jahre scheinbar vergeblichen Bittens hatten Glauben und Geduld bis zum äußersten auf die Probe gestellt, ihn aber nicht erschüttern können.

Manfred Herold

Manfred Herold