„VATER UNSER IM HIMMEL..“

Im Lukasevangelium wird uns gesagt, Jesus habe den Jüngern das „Vater-unser“ als Antwort auf ihre Bitte, sie beten zu lehren, mitgeteilt. - Wir fragen: „Ja, konnten sie denn nicht beten?“ Selbstverständlich konnten sie in traditioneller Art und Weise beten. Aber meist geschah nichts daraufhin. Als sie jedoch Jesus eine Zeit lang beobachtet hatten und sahen, was auf Grund Seines Betens passierte, erkannten sie ihren Mangel und wollten von IHM unterrichtet werden.

Es ist auch heute ein großes Geschenk, seine Lernbedürftigkeit im Hinblick auf das Gebet einzusehen und dann in die Schule Jesu zu gehen. Denn noch immer schwanken viele Christen zwischen hochmütigem Selbstbewusstsein („Das schaffe ich schon!“) und sündigem, d.h. von Gott losgelöstem Begehren („Das muss ich unbedingt haben!“). Das falsche Selbstbewusstsein lässt es erst gar nicht zu wahrem Beten kommen, und das falsche Begehren verhindert die Erhörung des Gebets. Liegen da vielleicht nicht schon die Schlüssel zu deiner Gebetslosigkeit? Durch Sein Wort und den Heiligen Geist will Jesus dir deshalb deine ganze Schwachheit, Unfähigkeit, Unwürdigkeit und Jämmerlichkeit vor Augen führen, damit du im Geist (d.h. im Vertrauen auf den Geist Gottes) beten lernen. Ebenfalls durch Wort und Geist will ER dein Begehren, deine Wünsche und Ziele neu ordnen, d.h. sie auf Ewiges, Echtes, Wahres, Bleibendes ausrichten, damit du in Wahrheit (d.h. in Übereinstimmung mit seinem Willen = erhörlich) beten lernst. (Johannes 4,23)

Wenn du dir vor Augen hältst, dass im geistlichen Leben nichts geschieht und nichts auf Dauer besteht ohne das Gebet; - wenn wir uns bewusst machen, dass der Geist Gottes nur eine „Methode“ hat, durch die Er wirkt, das Gebet; - wenn dir klar wird, dass Gott nichts tut, es sei denn als Antwort auf Gebet; - wenn dir auf diese Weise der wahre Stellenwert des Gebets deutlich wird, dann drängen sich die Fragen auf:

- Hast du es schon gelernt, so zu beten?

- Bist du wenigstens dabei, es zu lernen?

- Willst du nicht endlich ganz bewusst damit beginnen? Heute?!

Der beste „Grundkurs“ und zugleich der tiefgründigste „Kurs für Fortgeschrittene“ ist und bleibt für alle Lernwilligen das „Vaterunser“, dieses Herzstück des Evangeliums, dieser Schlüssel zur Verkündigung Jesu, dieses Modell- oder Lehrgebet.

VATER

Wie das 1. Gebot im Keim alle anderen enthält, so ist die Anrede: „Vater-unser“ der Kern und Keim aller folgenden Bitten.

Zuerst weist uns dieses Wort „Vater“ auf Jesus hin (Johannes 14,6; Galater 3,26). In Ihm ist uns Gott ganz nahe gekommen. Allein durch Ihn ist die verschlossene Tür zum Vater wieder geöffnet worden. „Abba“ war Kindersprache und gehörte zu den ersten Lauten, die ein Kind plapperte. Niemand würde es damals gewagt haben, Gott so anzusprechen. Jesus tat es in allen Seinen Gebeten. Er sprach mit Gott, wie ein Kleinkind mit seinem Vater, so natürlich, so beziehungsreich, so einfach und kindlich, aber doch immer respektvoll.

Er allein hatte das Recht, Gott Seinen Vater zu nennen, und zugleich die Vollmacht, dieses Recht an Seine Jünger, an Seine Gemeinde weiterzugeben. Indem Jesus die Glaubenden zu Seinen Brüdern macht, dürfen sie diesen Gott „Vater“ nennen.

Hier aber taucht für uns und unsere Zeitgenossen eine scheinbar unüberwindliche Schwierigkeit auf: unsere menschlichen Vaterbilder. Die Erfahrungen mit unseren Vätern haben tiefe Spuren hinterlassen und stehen vielen Menschen im Wege, wenn sie versuchen, Gott als Vater verstehen zu wollen. Da spannt sich dann der Bogen vom tyrannischen oder autoritären Vater über den viel beschäftigten, den gleichgültigen, den stets nachgiebigen bis zu dem entschlussschwachen und standpunktlosen Vatertyp. Das Neue Testament zeigt uns jedoch an dieser Stelle deutlich, dass Rückschlüsse von unseren irdischen Vaterbildern auf das Vatersein Gottes die Dinge auf den Kopf stellt. Denn Gottes Vatersein ist keine Projektion unserer menschlichen Vatervorstellungen und -erfahrungen! Im Gegenteil, das Vatersein Gottes ist Urbild und Maß aller irdischen Vaterschaft. Nicht indem wir auf unsere leiblichen Väter schauen erfahren wir, welch ein Vater Gott ist, sondern allein indem wir auf Jesus schauen! (Johannes 14,9) Es ist für unser gesamtes Christsein entscheidend, ob wir die Tatsache der Vaterschaft Gottes wesensmäßig erfassen. Das war Jesu Anliegen während Seines irdischen Lebens und ist es noch heute (Johannes 17,5-6+25-26). Deshalb lehrte Er auch Seine Jünger, zum Vater zu beten.

Ein echtes, tiefes Vaterbewusstsein würde unser Christsein und da vor allem unser Gebetsleben revolutionieren. Der Vater ist der Lebensspender, der Versorger, Fürsorger, Beschützer, Erzieher, Er schenkt Geborgenheit und Liebe, Er geht auf mich ein, ist mir wohlgesonnen. Ich muss Ihn zu all dem nicht erst in meinen Gebeten überreden! Wir leiden im Grunde ja nur an unserem Widerstand und unserem Misstrauen gegen Gott, der doch durch Jesus unser Vater geworden ist. Eine gute Vaterbeziehung macht z.B. viele Worte unnötig. Deshalb ist das „Vater-unser“ ein kurzes Gebet. - Ist unser Hang zum Viele-Worte-machen im Gebet nicht häufig ein Ausdruck unserer schwachen Vaterbeziehung?!

Die Tatsache immer tiefer zu erfassen, dass du durch den Glauben an Jesus ohne Abstriche ein Kind des göttlichen Vaters bist, und in der Gemeinschaft mit IHM alles zu entdecken, was das beinhaltet, ist entscheidend für das gesunde Wachstum eines ganzheitlichen, fruchtbringenden Glaubenslebens. Das Bewusstsein, einen solchen Vater zu haben, verändert ein Leben von Grund auf: Dein Gebet, dein Vertrauen, deine Liebe, deine Hoffnung, deinen Dienst, deine Einstellungen! Gott als Vater zu erkennen, ist der Schlüssel zu echtem christlichen und das heißt auch entspannten Beten.

UNSER

Das besitzanzeigende Fürwort beschränkt und beschreibt den betroffenen Personenkreis. Es sind also nicht automatisch alle Menschen gemeint, sondern nur die, welche durch den Glauben an Jesus Christus wiedergeboren wurden, also Kinder Gottes, d.h. Glieder der Gottesfamilie geworden sind. In der Gemeinde verbindet uns demnach nicht Herkommen, Bildung, soziale Stellung, Hautfarbe, Alter oder Geschlecht, sondern der EINE Vater. Dessen sollten wir uns bewusst bleiben.

Wir sollten auch nie versuchen, dem Vater Seine Verantwortung für jedes einzelne Glied Seiner Familie aus der Hand zu nehmen. ER sorgt für die Seinen - auch für dich! Ein besonderes Anliegen des Vaters ist die Einheit Seiner Familie. Die Liebe zu unserem gemeinsamen Vater und die Wertschätzung des Opfers Jesu sollten für uns eine heilige Verpflichtung zur Einheit sein.

In der Familie Gottes ist man aus Liebe füreinander da; man ist aufeinander angewiesen, nimmt einander an, bejaht sich gegenseitig, hilft einander zurecht, weil Gott genauso des Bruders, der Schwester Vater ist, wie er mein Vater ist. Ohne Jesus wären wir alle nichts. Es gibt in der Familie Gottes Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit, jedoch keine allgemeine Gleichmacherei. Deshalb werden wir vor Überheblichkeit, Stolz, Kritiksucht und Rechthaberei gewarnt (Matthäus 7,1-2)! All das macht den Vater traurig, weil es die Einheit zerstört und ein schlechtes Licht auf die Familie wirft (Römer 2,24).

Merke: „Ich, mein, mir, mich“ kommen im ganzen „Vater-unser“ nicht vor. Beim echten Beten geht es nicht vorrangig um uns, um unsere persönlichen Anliegen, sondern um den Vater, um die Gemeinschaft Seiner Kinder und um Sein Reich (Matthäus 6,33). Das „Vater-unser“ ist kein Gebet für fromme Einzelgänger, sondern das Gebet der Jüngergemeinde.

IM HIMMEL

Mit „Himmel“ ist die unsichtbare Welt Gottes gemeint. Sie umgibt uns, sie durchdringt alles und in sie haben wir durch unser Gebet Zutritt. Da thront unser Gott in einem unvorstellbaren Licht und hält das ganze Weltgeschehen im Großen, wie im Kleinen, in Seiner Hand (Psalm 115,3; 1. Timotheus 2,4; Matthäus 10,29).

Spätestens hier werden wir aber erneut mit drängenden Fragen konfrontiert: „Wie reimt sich der im Himmel thronende Gott mit all dem Schrecklichen, das auf unserer Erde passiert? Wie kann ein liebender, gütiger Gott das alles zulassen?“ - Gegenfrage: „Muss ein Vater auch dann weiterhin gütig sein, wenn Seine Kinder diese Güte immer wieder ausschlagen, ignorieren und verspotten? Wenn sie Sein Wort überhören, Seine Gebote missachten, Seinen Willen mit Füßen treten?" Gott lässt die Menschen und Völker ihre selbst gewählten Wege der Selbstsucht, des Hochmuts und der Selbstzerstörung gehen - und Er lässt sie die Konsequenzen tragen. Sie wollen ohne Gott leben, deshalb müssen sie ohne Gott leben.

Hören wir doch auf, den Vater für Dinge verantwortlich zu machen, die abseits von Seinen Wegen und gegen Seinen erklärten Willen von verblendeten Menschen veranstaltet werden! Jeder, der von seinen selbstherrlichen Wegen umkehrt und Jesus um Vergebung bittet, wird die Freundlichkeit und Liebe des himmlischen Vaters ganz persönlich kennen lernen. Der Himmel ist der Ort, an dem es keine Trübung, keinen Widerspruch, nichts Unreines, keinen Schmerz, keine Tränen, kein Geschrei gibt. Vor allem aber ist er der Ort, an dem es keine Trennung (= Sünde) mehr gibt, wo das Ende, der Ausgang aller Dinge genau so gegenwärtig ist, wie der Anfang. In Seiner Liebe hat Gott einigen Seiner Kinder einen Blick hinter die Kulissen gestattet und ihnen zu unserer Ermutigung den Ausgang allen Weltgeschehens gezeigt (Offenbarung 21,1-8). Dieser allmächtige Herrscher, bei dem es keine Veränderung, keinen Wechsel Seiner Meinung oder Stimmung gibt, dessen Liebe immer gleich stark uns um Jesu Christi willen zugewandt bleibt, ist - unser Vater.

Wenn du diese Wahrheit auf dich wirken lässt, sie zu Herzen nimmst, dann wird dein Alltag von Freude, Friede, Gelassenheit, Vertrauen, Hoffnung und Liebe geprägt sein. Dann wird dir das ein großer Ansporn zu treuerem, vertrauensvollerem, gemeinschaftsbezogenerem, den Vater verherrlichendem Beten sein. Und Beten bedeutet, im Glauben daran zu denken, zu fühlen, zu sprechen und zu wollen, dass der Vater hört, sich kümmert und antwortet.

Manchmal stürzt eine Brücke ein, doch deswegen haben die Gesetze der Statik und der Schwerkraft nicht versagt. Es gibt bisweilen einen Kurzschluss, doch deswegen sind nicht die Gesetze der Elektrizität außer Kraft gesetzt. Und manchmal verrät ein Jünger seinen Herrn, aber das heißt nicht, dass deswegen die Gesetzmäßigkeit der Liebe außer Kraft gesetzt worden wäre. Manchmal wird ein Gebet nicht erhört, aber dadurch wird die Macht des Gebets nicht gemindert.

Der Wissenschaftler gibt nicht auf, weil ein Kurzschluss in der Leitung, oder weil eine Brücke eingestürzt ist. Warum sollten Beter aufhören zu beten, wenn einmal ein Gebet nicht erhört wurde? Man stelle sich nur vor, was geschähe, wenn alle Christen sich im Gebet in demselben Glauben an die Ordnungen Gottes vereinten, wie ihn die Wissenschaftler den Gesetzen der Natur entgegenbringen. Wir haben einen guten Vater, der um Jesu willen Gebet erhört!



Manfred Herold



Manfred Herold